Читаем Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend полностью

»Gut, dann hole ich den Kaffee herunter«, sage ich, laufe die Treppe hinauf, nehme die»Kritik der reinen Vernunft«, schlinge einen Bindfaden darum, lasse sie aus meinem Fenster heraus und pendele damit vor Georgs Fenster. Inzwischen schreibe ich mit Buntstift auf ein Blatt die Warnung:»Riesenfeld im Büro«, mache ein Loch in den Zettel und lasse ihn über den Bindfaden auf den Band Kant hinunterflattern. Kant klopft ein paarmal, dann sehe ich von oben Georgs kahlen Kopf. Er macht mir Zeichen. Wir vollführen eine kurze Pantomime. Ich mache ihm mit den Händen klar, daß ich Riesenfeld nicht loswerden kann. Rauswerfen kann ich ihn nicht; dazu ist er zu wichtig für unser tägliches Brot.

Ich ziehe die»Kritik der reinen Vernunft«wieder hoch und lasse meine Flasche Schnaps hinab. Ein schöner, gerundeter Arm greift danach, bevor Georg sie fassen kann, und zieht sie hinein. Wer weiß, wann Riesenfeld verschwindet? Die Liebenden sind inzwischen dem scharfen Morgenhunger nach durchwachter Nacht ausgesetzt. Ich lasse deshalb meine Butter, mein Brot und ein Stück Leberwurst hinunter. Der Bindfaden kommt, mit Lippenstift rot am Ende verschmiert, wieder hoch. Ich höre den seufzenden Laut, mit dem der Kork die Flasche freigibt. Romeo und Julia sind für den Augenblick gerettet.


Als ich Riesenfeld seinen Kaffee präsentiere, sehe ich Heinrich Kroll über den Hof kommen. Der nationale Geschäftsmann hat neben seinen übrigen verwerflichen Eigenschaften auch noch die, früh aufzustehen. Er nennt das: die Brust Gottes freier Natur darzubieten. Unter»Gott«versteht er selbstverständlich nicht ein gütiges Fabelwesen mit einem langen Bart, sondern einen preußischen Feldmarschall.

Bieder schüttelt er Riesenfeld die Hand. Riesenfeld ist nicht übermäßig erfreut.»Lassen Sie sich durch mich von nichts abhalten«, erklärt er.»Ich trinke hier nur meinen Kaffee und döse dann ein bißchen, bis es Zeit für mich wird.«

»Aber das wäre doch! Ein so seltener und lieber Gast!«Heinrich wendet sich mir zu.»Haben wir denn keine frischen Brötchen für Herrn Riesenfeld?«

»Da müssen Sie die Witwe des Bäckers Niebuhr oder Ihre Mutter fragen«, erwidere ich.»Anscheinend wird in der Republik sonntags nicht gebacken. Eine unerhörte Schlamperei! Im kaiserlichen Deutschland war das anders.«

Heinrich schießt mir einen bösen Blick zu.»Wo ist Georg?«fragt er kurz.

»Ich bin nicht der Hüter Ihres Bruders, Herr Kroll«, antworte ich bibelfest und laut, um Georg über die neue Gefahr zu informieren.

»Nein, aber Sie sind Angestellter meiner Firma! Ich ersuche Sie, entsprechend zu antworten.«

»Es ist Sonntag. Sonntags bin ich kein Angestellter. Ich bin heute nur freiwillig, aus überschäumender Liebe zu meinem Beruf und aus freundschaftlicher Verehrung für den Beherrscher des Odenwälder Granits, so früh heruntergekommen. Unrasiert, wie Sie vielleicht bemerken, Herr Kroll.«

»Da sehen Sie es«, sagt Heinrich bitter zu Riesenfeld.»Dadurch haben wir den Krieg verloren. Durch die Schlamperei der Intellektuellen und durch die Juden.«

»Und die Radfahrer«, ergänzt Riesenfeld.

»Wieso die Radfahrer?«fragt Heinrich erstaunt.

»Wieso die Juden?«fragt Riesenfeld zurück.

Heinrich stutzt.»Ach so«, sagt er dann lustlos.»Ein Witz. Ich werde Georg wecken.«

»Ich würde das nicht tun«, erkläre ich laut.

»Geben Sie mir gefälligst keine Ratschläge!«

Heinrich nähert sich der Tür. Ich halte ihn nicht ab. Georg müßte taub sein, wenn er inzwischen nicht abgeschlossen hätte.»Lassen Sie ihn schlafen«, sagt Riesenfeld.»Ich habe keine Lust auf große Unterhaltungen so früh.«

Heinrich hält inne.»Warum machen Sie nicht einen Spaziergang durch Gottes freie Natur mit Herrn Riesenfeld?«frage ich.»Wenn Sie dann zurückkommen, ist der Haushalt aufgewacht, Speck und Eier brodeln in der Pfanne, Brötchen sind extra für Sie gebacken worden, ein Bukett frisch gepflückter Gladiolen ziert die düsteren Paraphernalien des Todes, und Georg ist da, rasiert und nach Kölnisch Wasser duftend.«

»Gott soll mich schützen«, murmelt Riesenfeld.»Ich bleibe hier und schlafe.«

Ich zucke ratlos die Achseln. Ich kriege ihn nicht aus der Bude.»Meinetwegen«, sage ich.»Dann gehe ich inzwischen Gott loben.«

Riesenfeld gähnt.»Ich wußte nicht, daß die Religion hier in so hohem Ansehen steht. Sie werfen ja mit Gott herum wie mit Kieselsteinen.«

»Das ist das Elend! Wir sind alle zu intim mit ihm geworden. Gott war immer der Duzbruder aller Kaiser, Generäle und Politiker. Dabei sollten wir uns fürchten, seinen Namen zu nennen. Aber ich gehe nicht beten, nur Orgel spielen. Kommen Sie mit!«

Riesenfeld winkt ab. Ich kann jetzt nichts weiter mehr tun. Georg muß sich selber helfen. Ich kann nur noch gehen – vielleicht gehen die andern beiden dann auch. Um Heinrich habe ich keine Sorge; Riesenfeld wird ihn schon loswerden.


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