Читаем Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend полностью

Ich gehe durch den eindunkelnden Garten der Anstalt. Isabelle ist heute zum ersten Male seit langem wieder in der Andacht gewesen. Ich suche sie, kann sie aber nicht finden. Statt dessen begegne ich Bodendiek, der nach Weihrauch und Zigarren riecht.

»Was sind Sie augenblicklich?«fragt er.»Atheist, Buddhist, Zweifler oder schon auf dem Wege zu Gott zurück?«

»Jeder befindet sich immer auf dem Wege zu Gott«, antworte ich kampfmüde.»Es kommt nur darauf an, was er darunter versteht.«

»Bravo«, sagt Bodendiek.»Wernicke sucht Sie übrigens. Warum kämpfen Sie eigentlich so verbissen um so etwas Einfaches wie den Glauben?«

»Weil im Himmel mehr Freude ist über einen kämpfenden Zweifler als über neunundneunzig Vikare, die von Kindheit an Hosianna singen«, erwidere ich.

Bodendiek schmunzelt. Ich will nicht mit ihm streiten; ich erinnere mich an seine Leistung im Gebüsch der Marienkirche.»Wann sehe ich Sie im Beichtstuhl?«fragt er.

»So wie die zwei Sünder von der Marienkirche?«

Er stutzt.»So, Sie wissen das? Nein, nicht so. Sie kommen freiwillig! Warten Sie nicht zu lange!«

Ich erwidere nichts darauf, und wir verabschieden uns herzlich. Auf dem Wege zu Wernickes Zimmer flattern die Blätter der Bäume wie Fledermäuse durch die Luft. Es riecht überall nach Erde und Herbst. Wo ist der Sommer geblieben? denke ich. Er war doch kaum da!

Wernicke packt einen Haufen Papiere beiseite.»Haben Sie Fräulein Terhoven gesehen?«fragt er.

»In der Kirche. Sonst nicht.«

Er nickt.»Kümmern Sie sich vorläufig nicht um sie.«

»Schön«, sage ich.»Weitere Befehle?«

»Seien Sie nicht albern! Es sind keine Befehle. Ich tue, was ich für meine Kranken für richtig halte.«Er sieht mich genauer an.»Sie sind doch nicht etwa verliebt?«

»Verliebt? In wen?«

»In Fräulein Terhoven. In wen sonst? Eine hübsche Krabbe ist sie ja. Verdammt, daran habe ich bei der ganzen Sache überhaupt nicht gedacht.«

»Ich auch nicht. Bei was für einer Sache?«

»Dann ist es ja gut.«Er lacht.»Außerdem hätte es Ihnen gar nichts geschadet.«

»So?«erwidere ich.»Ich dachte bisher, nur Bodendiek wäre hier der Stellvertreter Gottes. Jetzt haben wir auch noch Sie. Sie wissen genau, was schadet und was nicht, wie?«

Wernicke schweigt einen Augenblick.»Also doch«, sagt er dann.»Na, wenn schon! Schade, daß ich nicht mal zuhören konnte! Gerade bei Ihnen! Müssen schöne Mondkalbdialoge gewesen sein! Nehmen Sie eine Zigarre. Haben Sie gemerkt, daß es Herbst ist?«

»Ja«, sage ich.»Darin kann ich Ihnen beistimmen.«

Wernicke hält mir die Kiste mit den Zigarren hin. Ich nehme eine, um nicht zu hören, daß, wenn ich sie zurückweise, das ein weiteres Zeichen von Verliebtheit sei. Mir ist plötzlich so elend, daß ich kotzen möchte. Trotzdem zünde ich die Zigarre an.

»Ich bin Ihnen wohl eine Erklärung schuldig«, sagt Wernikke.»Die Mutter! Ich habe sie wieder zwei Abende hier gehabt. Sie ist endlich niedergebrochen. Mann früh gestorben; Mutter hübsch, jung; Hausfreund, in den die Tochter offenbar auch stark verschossen war; Mutter und Hausfreund unvorsichtig, Tochter eifersüchtig, überrascht sie in einer sehr intimen Situation, hatte sie vielleicht schon länger beobachtet – verstehen Sie?«

»Nein«, sage ich. Mir ist das alles ebenso widerlich wie Wernickes stinkende Zigarre.

»Also soweit sind wir«, fährt Wernicke mit Gusto fort.»Haß der Tochter, Ekel, Komplex, Rettung in Spaltung der Persönlichkeit, speziell den Typ, der alle Realität flieht und ein Traumleben führt. Mutter hat den Hausfreund später noch geheiratet, das brachte es dann ganz zur Krise – verstehen Sie jetzt?«

»Nein.«

»Aber es ist doch so einfach«, sagt Wernicke ungeduldig.»Schwer war nur, an den Kern heranzukommen, aber jetzt -«er reibt sich die Hände.»Dazu haben wir nun noch das Glück, daß der zweite Mann, der vorherige Hausfreund, Ralph oder Rudolph oder so ähnlich hieß er, jetzt nicht mehr blockierend da ist. Geschieden vor drei Monaten, vor zwei Wochen Autounfall, tot – die Ursache ist also beseitigt, der Weg ist frei – jetzt müssen Sie doch endlich kapieren?«

»Ja«, sage ich und möchte dem fröhlichen Wissenschaftler einen Chloroformlappen in den Rachen stopfen.

»Na, sehen Sie! Jetzt kommt es auf die Auslösung an. Die Mutter, die plötzlich keine Rivalin mehr ist, die Begegnung, sorgfältig vorbereitet – ich arbeite schon seit einer Woche daran, und alles geht sehr gut, Sie haben ja gesehen, daß Fräulein Terhoven heute abend schon wieder zur Andacht gegangen ist -«

»Sie meinen, Sie haben sie bekehrt? Sie, der Atheist, und nicht Bodendiek?«

»Unsinn!«sagt Wernicke, etwas ärgerlich über meinen Stumpfsinn.»Darauf kommt es doch nicht an! Ich meine, daß sie aufgeschlossener wird, zugänglicher, freier – haben Sie das denn nicht auch gemerkt, als Sie das letztemal hier waren?«

»Ja.«

»Na sehen Sie!«Wernicke reibt sich wieder die Hände.

»Das war nach dem ersten starken Schock doch ein recht erfreuliches Ergebnis -«

»War der Schock nun auch ein Ergebnis Ihrer Behandlung?«

»Er gehört dazu.«

Ich denke an Isabelle in ihrem Zimmer.»Gratuliere«, sage ich.

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