»Du willst nicht?«, sagte Voldemort leise, und die Todesser lachten diesmal nicht.»Du willst nicht ›nein‹ sagen? Harry, Gehorsam ist eine Tugend, die ich dir beibringen muß, bevor du stirbst… wie war's mit einer weiteren kleinen Kostprobe Schmerz?«
Voldemort hob den Zauberstab, aber diesmal war Harry bereit; reflexartig, wie er es sich beim Quidditch antrainiert hatte, warf er sich seitlich zu Boden und rollte hinter den Grabstein von Voldemorts Vater; im selben Augenblick krachte der Fluch gegen den Grabstein.
»Wir spielen hier nicht Verstecken, Harry«, sagte Voldemort leise, und die kalte Stimme näherte sich, während die Todesser erneut auflachten.»Du kannst dich nicht vor mir verstecken. Heißt das, du bist des Duellierens müde? Heißt das, du ziehst es vor, daß ich es auf der Stelle beende? Komm vor, Harry… komm vor und spiel mit… es wird schnell gehen… vielleicht sogar schmerzlos… ich kann es nicht wissen… ich bin nie gestorben…«
Harry kauerte hinter dem Grabstein und wußte, daß das Ende gekommen war. Alle Hoffnung war verloren… niemand würde ihm helfen können. Und während er lauschte, wie Voldemort immer näher kam, war er sich, weit jenseits von Angst oder Vernunft, in einem sicher – er wollte hier nicht sterben wie ein Kind, das Versteck spielte; er wollte nicht zu Voldemorts Füßen kniend sterben… er würde aufrecht sterben wie sein Vater, und er würde im Sterben versuchen, sich zu verteidigen, selbst wenn es aussichtslos war…
Noch bevor Voldemort mit seinem Schlangengesicht um den Grabstein schauen konnte, war Harry aufgestanden… er packte mit fester Hand seinen Zauberstab, hielt ihn vor sich und warf sich vor den Grabstein, Voldemort entgegen.
Voldemort war bereit. Harry rief:»Expelliarmus!«, Voldemort schrie:»Avada Kedavra!«
Ein grüner Lichtblitz schoß aus Voldemorts Zauberstab, und im selben Augenblick knallte ein roter Lichtblitz aus Harrys Zauberstab – sie trafen sich in der Luft – und plötzlich begann Harrys Zauberstab zu vibrieren, als stünde er unter elektrischer Spannung; seine Hand hatte sich eisern um den Stab geklammert; er hätte nicht loslassen können, auch wenn er gewollt hätte – und jetzt verband ein dünner Lichtstrahl die beiden Zauberstäbe, weder rot noch grün, sondern hell und sattgolden -, und Harry, der dem Strahl mit verblüfftem Blick folgte, sah, daß auch Voldemorts lange bleiche Finger einen zitternden und bebenden Zauberstab umklammerten.
Und dann geschah etwas, auf das ihn nichts hätte vorbereiten können: Harry spürte, wie er den Boden unter den Füßen verlor. Etwas hob ihn in die Luft, und Voldemort genauso, während ihre Zauberstäbe durch den schimmernden Faden aus goldenem Licht verbunden blieben. Sie schwebten weg von dem Grabstein und sanken dann wieder zu Boden, auf ein gräberloses, ebenes Stück Erde… Die Todesser riefen und schrien durcheinander und flehten Voldemort an, ihnen Befehle zu erteilen; jetzt kamen sie zu ihnen, die Schlange glitt ihnen nach, und sie bildeten erneut einen Kreis um Harry und Voldemort, und einige zückten den Zauberstab -
Der goldene Faden, der Harry und Voldemort verband, faserte sich jetzt auf: Zwar blieben die Zauberstäbe verbunden, doch tausend neue Lichtfäden entstanden und wölbten sich über Harry und Voldemort, schossen kreuz und quer über sie, bis sie unter einem goldenen, kuppelförmigen Netz eingeschlossen waren, einem Käfig aus Licht, jenseits dessen die Todesser, deren Schreie nun merkwürdig erstickt klangen, wie Schakale im Kreis herumhuschten…
»Tut nichts!«, kreischte Voldemort den Todessern zu, und Harry sah, wie sich seine roten Augen beim Anblick dessen, was um ihn her geschah, verblüfft weiteten, sah, wie er sich mühte, den Lichtfaden zu zerreißen, der immer noch seinen und Harrys Zauberstab verband; Harry packte den Zauberstab noch fester, umklammerte ihn nun mit beiden Händen, und der goldene Faden blieb unversehrt.»Tut nichts ohne meinen Befehl!«, schrie Voldemort den Todessern zu.
Und dann erfüllte ein überirdisch schöner Klang die Luft… er drang aus jedem Faden des Lichtgewebes über ihnen und ließ die Luft um Harry und Voldemort erzittern. Es war ein Klang, den Harry wieder erkannte, obwohl er ihn erst einmal im Leben gehört hatte… es war der Gesang des Phönix…
Für Harry war er die reine Hoffnung… das Schönste, das Willkommenste, das er je gehört hatte… er hatte das Gefühl, der Gesang sei nicht nur um ihn her, sondern in ihm… es war der Klang, den er mit Dumbledore verband, und es war fast, als würde ein Freund ihm ins Ohr sprechen…
»Löse die Verbindung nicht.«