Kemmerich nickt. Ich kann seine Hände nicht gut ansehen, sie sind wie Wachs. Unter den Nägeln sitzt der Schmutz des Grabens, er sieht blauschwarz aus wie Gift. Mir fällt ein, daß diese Nägel weiterwachsen werden, lange noch, gespenstische Kellergewächse, wenn Kemmerich längst nicht mehr atmet. Ich sehe das Bild vor mir: sie krümmen sich zu Korkenziehern und wachsen und wachsen, und mit ihnen die Haare auf dem zerfallenden Schädel, wie Gras auf gutem Boden, genau wie Gras, wie ist das nur möglich -?
Müller bückt sich.»Wir haben deine Sachen mitgebracht, Franz.«
Kemmerich zeigt mit der Hand.»Legt sie unters Bett.«Müller tut es. Kemmerich fängt wieder von der Uhr an. Wie soll man ihn nur beruhigen, ohne ihn mißtrauisch zu machen!
Müller taucht mit einem Paar Fliegerstiefel wieder auf. Es sind herrliche englische Schuhe aus weichem, gelbem Leder, die bis zum Knie reichen und ganz hinauf geschnürt werden, eine begehrte Sache. Müller ist von ihrem Anblick begeistert, er hält ihre Sohlen gegen seine eigenen klobigen Schuhe und fragt:»Willst du denn die Stiefel mitnehmen, Franz?«
Wir denken alle drei das gleiche: selbst wenn er gesund würde, könnte er nur einen gebrauchen, sie wären für ihn also wertlos. Aber wie es jetzt steht, ist es ein Jammer, daß sie hierbleiben; – denn die Sanitäter werden sie natürlich sofort wegschnappen, wenn er tot ist. Müller wiederholt:»Willst du sie nicht hier lassen?«Kemmerich will nicht. Es sind seine besten Stücke.»Wir können sie ja umtauschen«, schlägt Müller wieder vor,»hier draußen kann man so was brauchen.«Doch Kemmerich ist nicht zu bewegen. Ich trete Müller auf den Fuß; er legt die schönen Stiefel zögernd wieder unter das Bett. Wir reden noch einiges und verabschieden uns dann.
»Mach’s gut, Franz.«
Ich verspreche ihm, morgen wiederzukommen. Müller redet ebenfalls davon; er denkt an die Schnürschuhe und will deshalb auf dem Posten sein.
Kemmerich stöhnt. Er hat Fieber. Wir halten draußen einen Sanitäter an und reden ihm zu, Kemmerich eine Spritze zu geben.
Er lehnt ab.»Wenn wir jedem Morphium geben wollten, müßten wir Fässer voll haben -«
»Du bedienst wohl nur Offiziere«, sagt Kropp gehässig. Rasch lege ich mich ins Mittel und gebe dem Sanitäter zunächst mal eine Zigarette. Er nimmt sie. Dann frage ich:»Darfst du denn überhaupt eine machen?«
Er ist beleidigt.»Wenn ihr’s nicht glaubt, was fragt ihr mich -«
Ich drücke ihm noch ein paar Zigaretten in die Hand.»Tu uns den Gefallen -«
»Na, schön«, sagt er. Kropp geht mit hinein, er traut ihm nicht und will zusehen. Wir warten draußen.
Müller fängt wieder von den Stiefeln an.»Sie würden mir tadellos passen. In diesen Kähnen laufe ich mir Blasen über Blasen. Glaubst du, daß er durchhält bis morgen nach dem Dienst? Wenn er nachts abgeht, haben wir die Stiefel gesehen – «
Albert kommt zurück.»Meint ihr -?«fragt er.
»Erledigt«, sagt Müller abschließend.
Wir gehen zu unsern Baracken zurück. Ich denke an den Brief, den ich morgen schreiben muß an Kemmerichs Mutter. Mich friert. Ich möchte einen Schnaps trinken. Müller rupft Gräser aus und kaut daran. Plötzlich wirft der kleine Kropp seine Zigarette weg, trampelt wild darauf herum, sieht sich um, mit einem aufgelösten und verstörten Gesicht, und stammelt:»Verfluchte Scheiße, diese verfluchte Scheiße.«
Wir gehen weiter, eine lange Zeit. Kropp hat sich beruhigt, wir kennen das, es ist der Frontkoller, jeder hat ihn mal. Müller fragt ihn:»Was hat dir der Kantorek eigentlich geschrieben?«
Er lacht:»Wir wären die eiserne Jugend.«Wir lachen alle drei ärgerlich. Kropp schimpft; er ist froh, daß er reden kann. – Ja, so denken sie, so denken sie, die hunderttausend Kantoreks! Eiserne Jugend. Jugend! Wir sind alle nicht mehr als zwanzig Jahre. Aber jung? Jugend? Das ist lange her.
Wir sind alte Leute.
2.