»Das kann ich Ihnen nicht genau erklären. Wenn ich es könnte, wäre es nicht so notwendig. Ich weiß es auch nicht immer; nur ab und zu. Dann aber weiß ich es verdammt klar.«
»Und jetzt wissen Sie es?«
»Jetzt weiß ich es.«
»Mein Gott!«sagt Riesenfeld.»Sie werden sich nochmal hierher zurücksehnen!«
»Bestimmt. Deshalb will ich fort.«
Riesenfeld zuckt plötzlich zusammen, als hätte er einen elektrischen Kontakt mit nassen Pfoten angefaßt. Lisa hat in ihrem Zimmer Licht gemacht und ist ans Fenster getreten. Sie scheint uns in unserm halbdunklen Büro nicht zu sehen und zieht sich gemächlich die Bluse aus. Unter der Bluse trägt sie nichts.
Riesenfeld schnauft laut.»Himmel, Donnerschlag, was für Brüste! Darauf kann man ja glatt ein Halblitermaß Bier stellen, und das Glas würde nicht ’runterfallen!«
»Auch ein Gedanke!«sage ich.
Riesenfelds Augen funkeln.»Macht Frau Watzek so was dauernd?«
»Sie ist ziemlich unbekümmert. Niemand kann sie sehen – außer uns hier, natürlich.«
»Mensch!«sagt Riesenfeld.»Und so eine Position wollen Sie aufgeben, Sie Riesenroß?«
»Ja«, sage ich und schweige, während Riesenfeld wie ein württembergischer Indianer zum Fenster schleicht, sein Glas in einer, die Flasche Korn in der andern Hand.
Lisa kämmt ihre Haare.»Ich wollte mal Bildhauer werden«, sagt Riesenfeld, ohne einen Blick von ihr zu lassen.»Bei so was hätte es sich gelohnt! Verflucht, was man alles versäumt hat!«
»Wollten Sie Bildhauer in Granit werden?«
»Was hat das damit zu tun?«
»Bei Granit werden die Modelle schneller älter, als die Kunstwerke fertig«, sage ich.»Er ist so hart. Bei Ihrem Temperament hätten Sie höchstens in Ton arbeiten können. Sonst hätten Sie nur unvollendete Werke hinterlassen.«
Riesenfeld stöhnt. Lisa hat den Rock ausgezogen, aber gleich darauf das Licht ausgedreht, um in ein anderes Zimmer zu gehen. Der Chef der Odenwald-Werke klebt noch eine Weile am Fenster, dann dreht er sich um.»Sie haben es leicht!«knurrt er.»Ihnen sitzt kein Dämon im Nacken. Höchstens ein Milchschaf.«
»Merci«, sage ich.»Bei Ihnen ist es auch kein Dämon, sondern ein Bock. Sonst noch was?«
»Ein Brief«, erklärt Riesenfeld.»Wollen Sie einen Brief von mir überbringen?«
»Wem?«
»Frau Watzek! Wem sonst?«- Ich schweige.
»Ich werde mich auch nach einer Position für Sie umsehen«, sagt Riesenfeld.
Ich schweige weiter und sehe den leicht schwitzenden verhinderten Bildhauer an. Ich halte Georg die Nibelungentreue, auch wenn es mich meine Zukunft kostet.
»Ich hätte das ohnehin getan«, erklärt Riesenfeld heuchlerisch.
»Das weiß ich«, sage ich.»Aber wozu wollen Sie schreiben? Schreiben hilft nie. Außerdem fahren Sie doch heute abend weg. Verschieben Sie die Sache, bis Sie zurückkommen.«
Riesenfeld trinkt seinen Korn aus.»Es mag Ihnen komisch vorkommen – aber Sachen solcher Art verschiebt man höchst ungern.«
In diesem Augenblick tritt Lisa aus ihrer Haustür. Sie trägt ein enganliegendes schwarzes Kostüm und Schuhe mit den höchsten Absätzen, die ich je gesehen habe. Riesenfeld erspäht sie zur gleichen Zeit wie ich. Er reißt seinen Hut vom Tisch und stürmt hinaus.»Dies ist der Augenblick!«
Ich sehe ihn die Straße hinunterschießen. Den Hut in der Hand, wandert er respektvoll neben Lisa her, die sich zweimal umsieht. Dann verschwinden beide um die Ecke. Ich wundere mich, wie das ausgehen wird. Georg Kroll wird es mir sicher berichten. Möglich, daß der Glückspilz dabei noch ein zweites Denkmal in schwedischem Granit herausholt.
Draußen kommt der Tischler Wilke über den Hof.»Wie wäre es mit einer Sitzung heute abend?«ruft er durchs Fenster.
Ich nicke. Ich habe schon erwartet, daß er das vorschlagen würde.»Kommt Bach auch?«frage ich.
»Klar. Ich hole gerade Zigaretten für ihn.«
Wir sitzen in der Werkstatt Wilkes zwischen Hobelspänen, Särgen, Blumentöpfen mit Geranien und Leimtöpfen. Es riecht nach Harz und frischgeschnittenem Tannenholz. Wilke hobelt den Deckel des Zwillingssarges zurecht. Er hat sich entschlossen, eine Blumengirlande umsonst dreinzugeben, sogar vergoldet, mit Blattgoldersatz. Wenn er interessiert ist, ist der Verdienst ihm gleichgültig. Und hier ist er interessiert.