Читаем Der schwarze Obelisk. Geschichte einer verspäteten Jugend полностью

»Sie müßte dazu weit aus dem Fenster hängen und Augen wie ein Scherenfernrohr haben.«Wernicke betrachtet die Farbe seines Kognaks.»Aber manchmal spüren Kranke dieser Art so etwas. Vielleicht hat sie es auch erraten. Ich habe sie in die Richtung getrieben.«

»Wozu?«sage ich.»Sie ist kränker, als ich sie je gesehen habe.«

»Nein«, erwidert Wernicke.

Ich stelle mein Glas zurück und blicke auf die dicken Bücher seiner Bibliothek.»Sie ist so elend, daß einem der Magen hochkommt.«

»Elend schon; aber nicht kränker.«

»Sie hätten sie in Ruhe lassen sollen – so, wie sie im Sommer war. Sie war glücklich. Jetzt – das ist entsetzlich.«

»Ja, es ist entsetzlich«, sagt Wemicke.»Es ist fast so, als ob all das wirklich geschähe, was sie sich einbildet.«

»Sie sitzt da wie in einer Folterkammer.«

Wernicke nickt.»Man glaubt draußen immer, so etwas existiere nicht mehr. Es existiert noch. Hier. Jeder hat seine eigene Folterkammer im Schädel.«

»Nicht nur hier.«

»Nicht nur hier«, gibt Wernicke bereitwillig zu und nimmt einen Schluck Kognak.»Aber viele hier haben sie. Wollen Sie sich überzeugen? Nehmen Sie einen weißen Kittel. Es ist bald Zeit für den Abendrundgang.«

»Nein«, sage ich.»Ich erinnere mich an das letztemal.«

»Das war der Krieg, der immer noch hier tobt. Wollen Sie eine andere Abteilung sehen?«

»Nein. Ich erinnere mich auch daran.«

»Nicht an alle, Sie haben nur einige gesehen.«

»Es waren genug.«

Ich erinnere mich an die Geschöpfe, die Wochen hindurch in verkrampften Haltungen erstarrt in Ecken stehen oder ruhelos gegen die Wände rennen, über die Betten klettern und mit weißen Augen in Zwangsjacken röcheln und schreien. Die lautlosen Gewitter des Chaos prasseln auf sie hernieder, und Wurm, Klaue, Schuppe, die schleimige, fußlose, sich windende Vorexistenz, das Kriechen vor dem Denken, daß Aas-Dasein greifen von unten herauf nach ihren Gedärmen und Hoden und Rückenwirbeln, um sie herabzuziehen in die graue Zersetzung des Anfangs, zurück zu Schuppenleibern und augenlosem Würgen – schreiend wie panikbefallene Affen retten sie sich auf die letzten kahlen Äste ihres Gehirns, schnatternd, gebannt von dem höhersteigenden Geschlinge, in der letzten grauenhaften Furcht, nicht des Gehirns, schlimmer, der der Zellen vor dem Untergang, dem Schrei über allen Schreien, der Angst der Ängste, der Todesfurcht, nicht des Individuums, sondern der Adern, der Zellen, des Blutes, der unterbewußten Intelligenzen, die Leber, Drüsen, Kreislauf schweigend regieren und das Feuer unter dem Schädel.

»Gut«, sagt Wernicke.»Dann trinken Sie Ihren Kognak. Unterlassen Sie Ihre Ausflüge ins Unterbewußtsein und loben Sie das Leben.«

»Warum? Weil alles so wunderbar eingerichtet ist? Weil einer den anderen frißt und dann sich selbst?«

»Weil Sie leben, Sie harmloser Klabautermann! Für das Problem des Mitleids sind Sie noch viel zu jung und unerfahren. Wenn Sie dazu einmal alt genug sein werden, werden Sie merken, daß es nicht existiert.«

»Ich habe eine gewisse Erfahrung.«

Wernicke winkt ab.»Machen Sie sich nicht wichtig, Sie Kriegsteilnehmer! Was Sie wissen, gehört nicht in das metaphysische Problem des Mitleids – es gehört in die allgemeine Idiotie der menschlichen Rasse. Das große Mitleid beginnt anderswo – und es hört auch anderswo auf – jenseits der Klageböcke wie Sie und auch jenseits der Trosthändler wie Bodendiek -«

»Gut, Sie Übermensch«, sage ich.»Gibt Ihnen das aber ein Recht, in den Köpfen Ihres Bezirkes nach Belieben die Hölle, das Fegefeuer oder den phlegmatischen Tod aufzurühren?«

»Recht -«, erwidert Wernicke mit abgrundtiefer Verachtung.»Wie angenehm ist doch ein ehrlicher Mörder gegen einen Rechts-Anwalt wie Sie! Was wissen Sie von Recht? Noch weniger als von Mitleid, Sie scholastischer Sentimentalist!«

Er hebt sein Glas, grinst und blickt friedlich in den Abend. Das künstliche Licht im Zimmer wird immer goldener auf den braunen und bunten Rücken der Bücher. Es erscheint nie so kostbar und so symbolisch wie hier oben, wo die Nacht auch eine Polarnacht der Gehirne ist.»Weder das eine noch das andere ist im Weltenplan vorgesehen«, sage ich.»Aber ich finde mich nicht damit ab, und wenn das für Sie menschliche Unzulänglichkeit bedeutet, so will ich gerne mein Leben lang so bleiben.«

Wernicke erhebt sich, nimmt seinen Hut vom Haken, setzt ihn auf, grüßt mich, indem er ihn abnimmt, hängt ihn dann zurück an den Haken und setzt sich wieder.»Es lebe das Gute und Schöne!«sagt er.»Das eben meinte ich. Und nun hinaus mit Ihnen! Es ist Zeit für die Abendrunde.«

»Können Sie Geneviève Terhoven kein Schlafmittel geben?«frage ich.

»Das kann ich; aber das heilt sie nicht.«

»Warum geben Sie ihr nicht wenigstens heute etwas Ruhe?«

»Ich gebe ihr Ruhe. Und ich werde ihr auch ein Schlafmittel geben.«Er zwinkerte mir zu.»Sie waren heute besser als ein ganzes Kollegium von Ärzten. Besten Dank.«

Ich sehe ihn unentschlossen an. Zur Hölle mit seinen Aufträgen, denke ich. Zur Hölle mit seinem Kognak! Und zur Hölle mit seinen gottähnlichen Redensarten!»Ein kräftiges Schlafmittel«, sage ich.

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