Wilke zeigt auf einen Sarg.»Für Werner, den Bankier. Gehirnblutung. Darf kosten, was es will, echtes Silber, feinstes Holz, echte Seide, Überstundentarif – wie wäre es mit etwas Hilfe? Kurt Bach ist nicht da. Sie können dafür morgen früh das Denkmal verkaufen. Keiner weiß es bis jetzt. Werner ist nach Geschäftsschluß umgefallen.«
»Heute nicht. Ich bin todmüde. Gehen Sie doch kurz vor Mitternacht in die Rote Mühle und kommen Sie nach eins zurück, um weiterzuarbeiten – dann ist das Problem der Geisterstunde gelöst.«
Wilke denkt nach.»Nicht schlecht«, erklärt er.»Aber brauche ich da nicht einen Smoking?«
»Nicht einmal im Traum.«
Wilke schüttelt den Kopf.»Ausgeschlossen, trotzdem! Die eine Stunde würde mich mehr kosten, als ich in der ganzen Nacht verdienen würde. Aber ich könnte in eine kleine Kneipe gehen.«Er schaut mich dankbar an.»Notieren Sie die Adresse Werners«, sagt er dann.
Ich schreibe sie auf. Sonderbar, denke ich, das ist schon der zweite heute abend, der einen Rat von mir befolgt – nur für mich selbst weiß ich keinen.»Komisch, daß Sie soviel Angst vor Gespenstern haben«, sage ich.»Dabei sind Sie doch gemäßigter Freidenker.«
»Nur tagsüber. Nicht nachts. Wer ist nachts schon Freidenker?«
Ich mache ein Zeichen zu Kurt Bachs Bude hinunter. Wilke winkt ab.»Es ist leicht, Freidenker zu sein, wenn man jung ist. Aber in meinem Alter, mit einem Leistenbruch und einer verkapselten Tuberkulose -«
»Schwenken Sie um. Die Kirche liebt bußfertige Sünder.«
Wilke hebt die Schultern.»Wo bliebe da mein Selbstrespekt?«
Ich lache.»Nachts haben Sie keinen, was?«
»Wer hat nachts schon welchen? Sie?«
»Nein. Aber vielleicht ein Nachtwächter. Oder ein Bäcker, der nachts Brot bäckt. Müssen Sie denn unbedingt Selbstrespekt haben?«
»Natürlich. Ich bin doch ein Mensch. Nur Tiere und Selbstmörder haben keinen. Es ist schon ein Elend, dieser Zwiespalt! Immerhin, ich werde heute nacht mal zur Gastwirtschaft Blume gehen. Das Bier ist da prima.«
Ich wandere zurück über den dunklen Hof. Vor dem Obelisken schimmert es bleich. Es ist Lisas Blumenstrauß. Sie hat ihn dort deponiert, bevor sie zur Roten Mühle gegangen ist. Ich stehe einen Augenblick unschlüssig; dann nehme ich ihn auf. Der Gedanke, daß Knopf ihn schänden könnte, ist zuviel. Ich nehme ihn mit auf meine Bude und stelle ihn in eine Terrakotta-Urne, die ich aus dem Büro heraufhole. Die Blumen bemächtigen sich sofort des ganzen Zimmers. Da sitze ich nun, mit braunen und gelben und weißen Chrysanthemen, die nach Erde und Friedhof riechen, als würde ich begraben! Aber habe ich nicht wirklich etwas begraben?
Um Mitternacht halte ich den Geruch nicht mehr aus. Ich sehe, daß Wilke fortgeht, um die Geisterstunde in der Kneipe zu überstehen, und nehme die Blumen und bringe sie in seine Werkstatt. Die Tür steht offen; das Licht brennt noch, damit der Gespensterfürchter keinen Schreck bekommt, wenn er zurückkehrt. Eine Flasche Bier steht auf dem Sarg des Riesen. Ich trinke sie aus, stelle Glas und Flasche auf das Fensterbrett und öffne das Fenster, damit es aussieht, als hätte ein Geist Durst gehabt. Dann streue ich die Chrysanthemen vom Fenster her zum halbfertigen Sarg des Bankiers Werner und lege an das Ende eine Handvoll wertloser Tausendmarkscheine. Soll Wilke sich irgendeinen Reim darauf machen! Wenn Werners Sarg deswegen nicht fertig wird, so ist das kein Unglück – der Bankier hat Dutzende von kleinen Hausbesitzern mit Inflationsgeld um ihr bißchen Besitz gebracht.
XX
»Möchtest du etwas sehen, das fast so ans Herz greift wie ein Rembrandt?«fragt Georg.»Immer los.«
Er nimmt etwas aus seinem Taschentuch und läßt es auf den Tisch fallen, daß es klingt. Es dauert eine Weile, bis ich es erkenne. Gerührt schauen wir es an. Es ist ein goldenes Zwanzigmarkstück. Das letztemal, daß ich eines gesehen habe, war vor dem Kriege.»Das waren Zeiten!«sage ich.»Frieden herrschte, Sicherheit regierte, Majestätsbeleidigungen wurden noch mit Festungshaft gesühnt, der Stahlhelm war unbekannt, unsere Mütter trugen Korsetts und hohe Kragen an ihren Blusen mit eingenähten Fischbeinstäbchen, Zinsen wurden gezahlt, die Mark war ebenso unantastbar wie Gott, und vierteljährlich schnitt man geruhsam die Coupons von den Staatsanleihen ab und bekam sie in Gold ausbezahlt. Laß dich küssen, du gleißendes Symbol einer versunkenen Zeit!«
Ich wiege das Geldstück in der Hand. Es trägt das Bildnis Wilhelms des Zweiten, der jetzt in Holland Holz sägt und sich einen Spitzbart hat wachsen lassen. Auf dem Konterfei trägt er noch den stolz auf gezwirbelten Schnurrbart, der damals hieß: Es ist erreicht. Es war tatsächlich erreicht.»Woher hast du es?«frage ich.
»Von einer Witwe, die einen ganzen Kasten voll davon geerbt hat.«
»Guter Gott! Was ist es wert?«
»Vier Milliarden Papiermark. Ein kleines Haus. Oder ein Dutzend herrlicher Frauen. Eine Woche in der Roten Mühle. Acht Monate Pension für einen Schwerkriegsverletzten -«
»Genug -«