Es handelte sich um ein gepflegtes Gebäude im Kolonialstil mit weißen Stuckverzierungen. Es war etwa fünfzig Jahre alt und umgeben von einem dichten Bestand sogenannter »Inseln« von Bäumen, für die die Stadt berühmt war. Das Haus lag in einem belebten Wohnviertel – Pendergast hörte das Dröhnen von Rasenmähern und das Geplapper von Kindern auf dem Weg zur Schule –, doch es wirkte unbewohnt. Er stieg die Vorderstufen hinauf und blieb kurz stehen, dann drückte er die Türklingel.
Im Haus ertönte ein leises Glockenspiel. Zehn Sekunden später hörte man leise Schritte, die sich näherten. Die Tür ging auf, und vor Pendergast stand ein älterer Mann. Er war beinahe so groß wie Pendergast und trug ein frisches Polo-Hemd und Bermudashorts. Das dünne blonde Haar war quer über die von der Sonne gebräunte Glatze gekämmt. Er sah Pendergast fragend an.
»Guten Morgen. Harold Baxter, nehme ich an?«
»Was kann ich für Sie tun?«
»Mein Name ist Special Agent Pendergast, FBI.« Er zückte seinen Ausweis und zeigte ihn dem Mann. »Entschuldigen Sie bitte, wenn ich in Ihre Privatsphäre eindringe, aber könnten Sie mir einige wenige Minuten Ihrer Zeit schenken?«
Der Mann blinzelte nervös. »Die Polizei war bereits gestern Nachmittag hier.«
»Ja, das kann ich mir denken. Ich verspreche Ihnen, nicht so lange zu bleiben.«
»Na gut. Kommen Sie rein.« Baxter trat beiseite, während Pendergast die Fliegengittertür öffnete und das Haus betrat.
Der Mann führte ihn durch ein Wohnzimmer und ein Esszimmer – beide picobello sauber und ein wenig nach Mottenkugeln riechend – auf die Terrasse auf der Rückseite des Hauses. Mehrere Klappstühle mit Kissen standen um einen Glastisch. Mit einer Handbewegung bat Baxter Pendergast, auf einem Platz zu nehmen. Während Pendergast sich setzte, erschien eine Frau ähnlich fortgeschrittenen Alters mit einem Geschirrtuch in der Hand in der offenen Schiebetür.
»Harold?«, fragte sie, auch wenn ihr Blick auf Pendergast ruhte. »Ist das etwa –?«
Doch Pendergast war schon wieder aufgestanden und ging zu ihr. »Mrs Baxter? Mein Name ist Pendergast, ich komme vom FBI. Würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich mich mit Ihnen und Ihrem Mann kurz unterhielte?«
»Na ja … nein, wenn Sie möchten.« Die Frau ging zu einem der Klappstühle, dabei fiel ihr das Abtrockentuch in ihrer Hand ein. Sie legte es ordentlich über den Stuhlrücken und setzte sich.
Pendergast sah abwechselnd den alten Mann und die alte Frau an. »Zunächst einmal möchte ich Ihnen danken. Ich weiß, das hier ist schwierig für Sie, und ich bin der Letzte, der alte Wunden aufreißen möchte. Deshalb wäre es vielleicht das Beste, wenn Sie mir erzählten, wie viel Sie über die Angelegenheit wissen, derentwegen die Detectives gestern hier waren.«
Baxter warf seiner Frau einen kurzen Blick zu. »Die haben nicht viel gesagt. Haben hauptsächlich Fragen gestellt. Es hatte mit irgendeinem …
Pendergast nickte – Baxter sollte fortfahren.
»Außerdem wollten sie wissen, ob wir die Frau kennen, die gestern ermordet wurde, Miss … Miss …« Wieder sah er zu seiner Frau.
»Montera. Felice Montera.«
»Verstehe«, sagte Pendergast in besonders einfühlsamem Ton. »Und darf ich fragen, was Sie den Detectives darauf geantwortet haben?«
»Wir haben gesagt, dass Elise, soweit wir wissen, die bedauernswerte Frau weder kannte noch von ihr gehört hat.
»Ihre Tochter hat also bei Ihnen gewohnt?«
Der Mann nickte. »Es war bequem für sie. Sie hat ganz in der Nähe gearbeitet, in Coral Gables. Elise hatte für eine eigene Wohnung gespart, aber sie war ziemlich wählerisch – was ja nicht verwunderlich ist, wenn man bedenkt, in welcher Branche sie tätig war.«
»Und was für eine Branche war das?«
»Sie war Immobilienmaklerin. Und angesichts ihres Alters eine sehr vielversprechende dazu. Auf der Überholspur.«
Die Mutter tupfte sich mit dem Geschirrtuch ein Auge trocken. »Die Polizei hat uns gestern bereits alle diese Fragen gestellt.«
»Entschuldigen Sie bitte, ich will versuchen, mich kurzzufassen. Wenn ich recht informiert bin, ist Ihre Tochter in Katahdin, Maine, verstorben.«
Stille. Dann nickte Mrs Baxter.
»Hatte sie Verwandte dort oben? Freunde?«
»Nein«, sagte der Vater. »Sie hat an einer Tagung teilgenommen, von Sun and Shore – die Immobilienfirma, bei der sie beschäftigt war. Im Grunde ein Kurzurlaub, eine Belohnung für die Mitarbeiter mit den besten Verkaufszahlen.«
»Sun and Shore Realty hat Büros in ganz Florida«, fügte die Frau hinzu und faltete wieder das Geschirrtuch.
»Und hatte Elise zu dem Zeitpunkt jemanden, der ihr nahestand? Einen Freund beispielsweise?«
Der Vater nickte. »Matt. Ein guter Junge. Er war bei der Marine, U-Boot-Matrose – zumindest war er das damals. Hat guten alten Rock gemocht.«