»Oh, du warst es?«, sagte Madam Pomfrey. Sie achtete nicht auf seine Worte, beugte sich über ihn und musterte ihn mit scharfem Blick.»Ich nehme an, du hast wieder was Gefährliches angestellt?«
»Es war ein Dementor, Poppy«, sagte Professor McGonagall. Sie tauschten düstere Blicke aus und Madam Pomfrey schnalzte mißbilligend mit der Zunge.
»Dementoren um die Schule herum aufstellen«, murmelte sie und strich Harrys Haare zurück, um ihm die Stirn zu fühlen,»da wird er nicht der Letzte sein, der zusammenbricht. ja, er ist ganz unterkühlt. Fürchterliche Ungeheuer sind das, und wenn man bedenkt, wie sie auf Leute wirken, die ohnehin schon zartbesaitet sind.«
»Ich bin nicht zart besaitet!«, sagte Harry beleidigt.
»Natürlich nicht«, sagte Madam Pomfrey geistesabwesend und fühlte ihm den Puls.
»Was braucht er?«, sagte Professor McGonagall forsch.»Bettruhe? Sollte er die Nacht vielleicht im Krankenflügel verbringen?«
»Mir geht's gut!«, sagte Harry und sprang auf Die Vorstellung, was Draco Malfoy sagen würde, wenn er in den Krankenflügel müßte, war die reine Folter.
»Nun, zumindest sollte er ein wenig Schokolade bekommen«, sagte Madam Pomfrey, die jetzt versuchte, in Harrys Augen zu spähen.
»Ich hatte schon welche«, sagte Harry.»Professor Lupin hat mir ein Stück gegeben. Er hat sie an uns alle verteilt.«
»Ach, das war nett von ihm«, sagte Madam Pomfrey anerkennend.»Also haben wir endlich einen Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste, der seine Gegenmittel beherrscht?«
»Sind Sie sicher, daß Sie sich wohl fühlen, Potter?«, fragte Professor McGonagall in scharfem Ton.
»Ja«, sagte Harry.
»Sehr schön. Warten Sie bitte draußen, während ich kurz mit Miss Granger über ihren Stundenplan spreche, dann können wir zusammen nach unten gehen.«
Harry ging hinaus in den Gang, zusammen mit Madam Pomfrey, die leise murmelnd in den Krankenflügel zurückkehrte. Er mußte nur wenige Minuten warten; als Hermine aus der Tür trat, schien sie sehr froh über etwas zu sein. Professor McGonagall folgte ihr und die drei stiegen die Marmortreppe hinunter in die Große Halle.
Die Halle war ein Meer aus schwarzen Spitzhüten; die langen Tische der vier Häuser waren voll besetzt mit Schülern, deren Gesichter beim Licht Tausender schwebender Kerzen erglühten. Professor Flitwick, ein winziger Zauberer mit einem Schock weißen Haars, trug gerade einen alten Hut und einen dreibeinigen Stuhl aus der Halle.
»Schade«, sagte Hermine,»wir haben die Auswahl versäumt!«
Die neuen Schüler in Hogwarts wurden auf die Häuser verteilt (Gryffindor, Ravenclaw, Hufflepuff und Slytherin). Dazu diente der Sprechende Hut, den sie aufsetzten und der daraufhin laut das Haus verkündete, zu dem sie am besten paßten. Professor McGonagall schritt auf ihren Platz am Lehrertisch zu und Harry und Hermine gingen so unauffällig wie möglich in die andere Richtung zum Tisch der Gryffindors. Ihre Mitschüler wandten sich nach ihnen um, während sie an der rückwärtigen Wand der Halle entlanggingen, und ein paar deuteten auf Harry. Hatte sich die Geschichte von seinem Ohnmachtsanfall vor dem Dementor so rasch herumgesprochen?
Harry und Hermine setzten sich neben Ron, der ihnen Plätze freigehalten hatte.
»Was sollte der ganze Aufstand?«, murmelte er Harry zu.
Harry begann flüsternd zu erklären, doch in diesem Augenblick erhob sich der Schulleiter und Harry verstummte.
Professor Dumbledore, obwohl sehr alt, erweckte immer den Eindruck von ungeheurer Kraft. Er hatte fast meterlanges silbernes Haar und einen Bart, halbmondförmige Brillengläser und eine scharf gekrümmte Nase. Oft hieß es, er sei der größte Zauberer seiner Zeit, doch das war nicht der Grund, weshalb Harry ihn schätzte. Man konnte einfach nicht umhin, Albus Dumbledore zu vertrauen, und während Harry beobachtete, wie Dumbledore die Schüler reihum strahlend anlächelte, fühlte er sich zum ersten Mal, seit der Dementor das Zugabteil betreten hatte, richtig entspannt.
»Willkommen!«, sagte Dumbledore und das Kerzenlicht schimmerte auf seinem Bart.»Willkommen zu einem neuen Jahr in Hogwarts! Ich habe euch allen einige Dinge mitzuteilen, und da etwas sehr Ernstes darunter ist, halte ich es für das Beste, wenn ich gleich damit herausrücke, denn nach unserem herrlichen Festmahl werdet ihr sicher ein wenig bedröppelt sein…«
Dumbledore räusperte sich und fuhr fort:
»Wie ihr mitbekommen habt, ist der Hogwarts-Express durchsucht worden, und ihr wißt inzwischen, daß unsere Schule gegenwärtig einige der Dementoren von Askaban beherbergt, die im Auftrag des Zaubereiministeriums hier sind.«
Er hielt inne und Harry fiel ein, daß Mr Weasley gesagt hatte, auch Dumbledore sei nicht glücklich darüber, daß die Dementoren die Schule bewachten.