»Ja«, erzählt er,»ich habe einen Kopfschuß gehabt, und darauf ist mir ein Attest ausgestellt worden, daß ich zeitweise unzurechnungsfähig bin. Seitdem bin ich fein heraus. Man darf mich nicht reizen. Mir passiert also nichts. Der unten wird sich schön ärgern. Und gemeldet habe ich mich, weil mir das Werfen Spaß gemacht hat. Wenn sie morgen wieder die Tür aufmachen, schmeißen wir wieder.«
Wir sind heilfroh. Mit Josef Hamacher in der Mitte können wir jetzt alles riskieren.
Dann kommen die lautlosen, flachen Wagen, um uns zu holen.
Die Verbände sind verklebt. Wir brüllen wie Stiere.
Es liegen acht Mann auf unserer Stube. Die schwerste Verletzung hat Peter, ein schwarzer Krauskopf – einen komplizierten Lungenschuß. Franz Wächter neben ihm hat einen zerschossenen Arm, der anfangs nicht schlimm aussieht. Aber in der dritten Nacht ruft er uns an, wir sollten klingeln, er glaube, er blute durch.
Ich klingele kräftig. Die Nachtschwester kommt nicht. Wir haben sie abends ziemlich stark in Anspruch genommen, weil wir alle neue Verbände und deshalb Schmerzen hatten. Der eine wollte das Bein so gelegt haben, der andere so, der dritte verlangte Wasser, dem vierten sollte sie das Kopfkissen aufschütteln; – die dicke Alte hatte böse gebrummt zuletzt und die Türen geschlagen. Jetzt vermutet sie wohl wieder so etwas, denn sie kommt nicht.
Wir warten. Dann sagt Franz:»Klingle noch mal.«
Ich tue es. Sie läßt sich immer noch nicht sehen. Auf unserem Flügel ist nachts nur eine einzige Stationsschwester, vielleicht hat sie gerade in andern Zimmern zu tun.»Bist du sicher, Franz, daß du blutest?«frage ich.»Sonst kriegen wir wieder was auf den Kopf.«
»Es ist naß. Kann keiner Licht machen?«Auch das geht nicht. Der Schalter ist an der Tür, und niemand kann aufstehen. Ich halte den Daumen auf der Klingel, bis er gefühllos wird. Vielleicht ist die Schwester eingenickt. Sie haben ja sehr viel Arbeit und sind alle überanstrengt, schon tagsüber. Dazu das ständige Beten.
»Sollen wir Flaschen schmeißen?«fragt Josef Hamacher mit dem Jagdschein.
»Das hört sie noch weniger als das Klingeln.«
Endlich geht die Tür auf. Muffelig erscheint die Alte. Als sie die Geschichte bei Franz bemerkt, wird sie eilig und ruft:»Weshalb hat denn keiner Bescheid gesagt?«
»Wir haben ja geklingelt. Laufen kann hier keiner.«
Er hat stark geblutet und wird verbunden. Morgens sehen wir sein Gesicht, es ist spitzer und gelber geworden, dabei war es am Abend noch fast gesund im Aussehen. Jetzt kommt öfter eine Schwester.
Manchmal sind es auch Hilfsschwestern vom Roten Kreuz. Sie sind gutmütig, aber mitunter etwas ungeschickt. Beim Umbetten tun sie einem oft weh und sind dann so erschrocken, daß sie einem noch mehr weh tun.
Die Nonnen sind zuverlässiger. Sie wissen, wie sie anfassen müssen, aber wir möchten gern, daß sie etwas lustiger wären. Einige allerdings haben Humor, sie sind großartig. Wer würde Schwester Libertine nicht jeden Gefallen tun, dieser wunderbaren Schwester, die im ganzen Flügel Stimmung verbreitet, wenn sie nur von weitem zu sehen ist? Und solcher sind noch mehrere da. Wir würden für sie durchs Feuer gehen. Man kann sich wirklich nicht beklagen, man wird direkt wie ein Zivilist hier behandelt von den Nonnen. Wenn man dagegen an die Garnisonlazarette denkt, in denen man mit angelegter Hand im Bett liegen muß, kann einem die Angst kommen.
Franz Wächter kommt nicht wieder zu Kräften. Eines Tages wird er abgeholt und bleibt fort. Josef Hamacher weiß Bescheid:»Den sehen wir nicht wieder. Sie haben ihn ins Totenzimmer gebracht.«
»Was für ein Totenzimmer?«fragt Kropp.
»Na, ins Sterbezimmer -«
»Was ist denn das?«
»Das kleine Zimmer an der Ecke des Flügels. Wer kurz vor dem Abkratzen ist, wird dahin gebracht. Es sind zwei Betten darin. Überall heißt es nur das Sterbezimmer.«
»Aber warum machen sie das?«
»Sie haben dann nicht so viel Arbeit nachher. Es ist auch bequemer, weil es gleich am Aufzug zur Totenhalle liegt. Vielleicht tun sie es auch, damit keiner in den Sälen stirbt, wegen der andern. Sie können ja auch besser bei ihm wachen, wenn er allein liegt.«
»Aber er selber?«
Josef zuckt die Achseln.»Gewöhnlich merkt er ja nicht mehr viel davon.«
»Weiß es denn jeder?«»Wer länger hier ist, weiß es natürlich.«
Nachmittags wird das Bett von Franz Wächter neu belegt. Nach ein paar Tagen holen sie auch den neuen wieder ab. Josef macht eine bezeichnende Handbewegung. Wir sehen noch manchen kommen und gehen.
Manchmal sitzen Angehörige an den Betten und weinen oder sprechen leise und verlegen. Eine alte Frau will gar nicht fort, aber sie kann die Nacht über ja nicht dableiben. Am andern Morgen kommt sie schon ganz früh, aber doch nicht früh genug; denn als sie an das Bett geht, liegt schon jemand anders drin. Sie muß zur Totenhalle. Die Äpfel, die sie noch bei sich hat, gibt sie uns.
Auch dem kleinen Peter geht es schlechter. Seine Fiebertafel sieht böse aus, und eines Tages steht neben seinem Bett der flache Wagen.»Wohin?«fragt er.
»Zum Verbandssaal.«