»In Schottland«, sagte sie zu ihm und sah ihn überrascht aufblinzeln. Er bückte sich ein wenig, um ihr direkt in die Augen zu sehen.
»Liebt Ihr ihn?«, fragte der alte Mann leise – doch es war nichts Sanftes an seiner Frage.
»Lasst mich los!« Sie trat nach seinem Schienbein, doch er wich ihr mit einem Geschick aus, das sie überraschte. Sein Umhang schwang zur Seite, als er sich bewegte, und sie sah Metall an seinem Gürtel aufblitzen. Es war eine kleine Axt, und weil sie sich plötzlich wieder an dieses grauenhafte Haus in New Jersey erinnern musste, fuhr sie zurück und kreischte laut auf.
»Ruhig!«, fuhr der alte Mann sie an. »Kommt mit, Kleine.« Er legte ihr seine große, schmutzige Hand vor den Mund und versuchte, sie hinter sich herzuschleifen, doch sie trat aus Leibeskräften um sich und konnte den Mund lange genug befreien, um noch einmal aufzuschreien, so laut sie konnte.
Verblüffte Ausrufe und die Geräusche schwerer Stiefel kamen rasch auf sie zu.
»Rachel!« Ein vertrauter Aufschrei drang in ihre Ohren, und ihr Herz tat einen Satz.
»William! Hilfe!«
William kam auf sie zugelaufen, und in geringem Abstand folgten ihm drei oder vier britische Soldaten, die Musketen in den Händen. Der alte Mann sagte etwas auf Gälisch, und der Ton seiner Worte war absolut erstaunt. Dann ließ er sie so plötzlich los, dass sie rückwärtsstolperte, über den Saum ihres zerrissenen Unterrocks fiel und hart auf der Straße landete.
Der alte Mann wich zurück, doch William war außer sich; er ging geduckt auf ihn los und hatte eindeutig vor, ihn umzurammen. Doch der Alte hatte die Hand an seiner Axt, und Rachel schrie »William«, so laut sie konnte. Doch es nützte nichts. Licht blitzte auf Metall auf, und sie hörte einen dumpfen Aufprall. William schwankte zur Seite, machte zwei vergebliche Schritte und fiel.
»William, William! O Herr, o Herr …« Sie konnte sich nicht aufrappeln, sondern kroch stöhnend auf ihn zu, so schnell sie konnte. Die Soldaten liefen mit Gebrüll hinter dem alten Mann her, doch sie beachtete sie nicht. Alles, was sie sah, war Williams Gesicht, leichenblass, die Augen so verdreht, dass nur das Weiße zu sehen war, und das dunkle Blut, das ihm in die Haare lief.
Trotz seiner Einwände steckte ich William ins Bett und befahl ihm, dort zu bleiben. Ich war mir hinreichend sicher, dass seine Einwände nur um Rachels willen erfolgten, denn sobald ich sie zur Tür hinausgeschoben hatte, ließ er sich von mir auf die Kissen zurücklegen, das Gesicht schmal und wächsern unter dem Verband, den ich ihm um die Stirn gewickelt hatte.
»Schlaf«, ordnete ich an. »Morgen früh wirst du dich furchtbar fühlen, aber du wirst nicht sterben.«
»Danke, Mutter Claire«, murmelte er mit dem Hauch eines Lächelns. »Deine Worte sind immer so tröstlich. Doch bevor du gehst …« Obwohl es ihm sichtlich schlecht ging, legte sich seine Hand fest auf meinen Arm.
»Was?«, fragte ich argwöhnisch.
»Der Mann, der Rachel angegriffen hat. Weißt du zufällig, wer er sein könnte?«
»Ja«, sagte ich widerstrebend. »Ihrer Beschreibung nach ist der Mann Arch Bug. Er hat in North Carolina bei uns gelebt.«
»Ah.« Sein Gesicht mochte blass sein, doch die tiefblauen Augen begannen, neugierig zu leuchten. »Ist er verrückt?«
»Ja, ich glaube schon. Er … Er hat unter tragischen Umständen seine Frau verloren, und ich glaube, das hat ihn um den Verstand gebracht.« Das glaubte ich tatsächlich, und dazu kamen die langen Monate seit jener Winternacht in Fraser’s Ridge, die er allein im Wald verbracht hatte, auf dem endlosen Marsch, während er der verschollenen Stimme seiner Frau lauschte … Wenn er nicht schon von Anfang an verrückt gewesen war, so glaubte ich, dass er es jetzt auf jeden Fall war. Allerdings hatte ich nicht vor, William die ganze Geschichte zu erzählen. Jetzt nicht, und möglicherweise nie.
»Ich werde mit jemandem sprechen«, sagte er und gähnte plötzlich herzhaft. »Entschuldigung. Ich bin furchtbar müde.«
»Du hast eine Gehirnerschütterung«, sagte ich zu ihm. »Ich werde dich stündlich wecken kommen. Mit wem willst du sprechen?«
»Offizier«, sagte er undeutlich, und seine Augen schlossen sich. »Sie sollen nach ihm Ausschau halten. Können nicht zulassen, dass er … Rachel.« Ihr Name entfuhr ihm als Seufzer, und sein kräftiger junger Körper erschlaffte. Ich beobachtete ihn noch einen Moment, bis ich sicher war, dass er fest schlief. Dann küsste ich ihn sanft auf die Stirn und dachte – mit demselben Stich im Herzen, mit dem ich seine Schwester geküsst hatte, als sie in seinem Alter war –,
Rachel selbst wartete auf dem Treppenabsatz. Sie war nervös und zerzaust, obwohl sie versucht hatte, ihr Haar und ihre Haube zu ordnen.
»Wird er gesund?«
»Ja, ich glaube schon. Er hat eine schwache Gehirnerschütterung – weißt du, was das ist? Ja, natürlich weißt du es. Das, und ich habe ihm den Kopf mit drei Stichen genäht. Er wird morgen zwar grauenvolle Kopfschmerzen haben, aber die Wunde war nur oberflächlich, und sie ist nicht ernst.«