Die Krone setzt Dr. Hacha der Entmachtung der Slowaken damit auf, daß er der Slowakei eine neue Landesregierung unter dem früheren Erziehungsminister Sivak aufdrückt173. Doch Sivak nimmt das Amt nicht an, und Hacha muß Monsignore Tiso nach ein paar Tagen Chaos bitten, die Regierung über die Slowakei wieder zu übernehmen. Tiso ist von nun an nicht mehr dazu bereit, mit den Tschechen im allgemeinen und mit der Prager Regierung im besonderen in irgendeiner Form Gemeinsamkeit zu suchen und die Tschechoslowakei am Leben zu erhalten.
Auch bei der kleinen, noch im Land verbliebenen deutschen Minderheit rumort es. Bei der Abtrennung der Sudetengebiete sind nicht nur 350.000 Tschechen ge-172 Henderson, Seite 201
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gen ihren Willen dem Deutschen Reiche zugeschlagen worden. Auch 175.000
Deutsche in den Sprachinseln innerhalb der Tschecho-Slowakei mußten in diesem ihnen fremd gebliebenen Staat verbleiben. Die Sudetendeutschen – enttäuscht, daß sie nicht „heim ins Reich“ gekommen – kooperieren nicht mehr mit den Tschechen. Die ihrerseits sehen inzwischen in den Deutschen ihren Feind im eigenen Lande. Tausende von Sudetendeutschen verlieren ihren Arbeitsplatz. Die Tschechoslowakei gewährt ihnen und ihren Familien zunächst keine Arbeitslo-senunterstützung, was sonst im Lande üblich ist. So kommt für viele der in der Tschechoslowakei verbliebenen Deutschen zur Isolierung die wirtschaftliche Not. Damit steht eine dritte, wenn auch nur noch sehr kleine Volksgruppe auf schlechtem Fuße mit den Tschechen. Dieses Zerwürfnis zwischen Tschechen und in der Tschechoslowakei verbliebenen Sudetendeutschen kann allerdings nicht als Rechtfertigung für das später aufgezwungene Protektorat Deutschlands über die Tschechei herhalten. Dr. Hacha bemüht sich seit seinem Amtsantritt am 29. November 1938 zusammen mit Außenminister Chvalkovsky um ein gedeihliches Verhältnis zur deutschen Reichsregierung. Wann immer Klagen aus Berlin nach Prag gerichtet werden, beeilen sich Hacha und Chvalkovsky, den deutschen Wünschen nachzukommen. Dennoch gelingt es Dr. Hacha nicht, die Lebensver-hältnisse der Sudetendeutschen in seinem Land in kurzer Zeit zu ändern.
Zu allem inneren Aufruhr in der Rest-Tschecho-Slowakei kommt weiterer Druck von außen. Die Polen bleiben bei ihren nach ihrer Sicht noch immer offenen territorialen Forderungen. Am 17. Oktober beansprucht Warschau ein 5 mal 20 Kilometer großes Grenzgebiet südwestlich Zakopane. Dann steckt es Fühler nach Deutschland und Rumänien aus, um mit Berliner und Bukarester Hilfe eine Abtrennung der Karpato-Ukraine und deren Angliederung an Ungarn zu er-reichen174. Am 22. Oktober fordert Warschau vier weitere, wenn auch nur kleine Grenzkorrekturen in der Tatra. Alsdann startet die polnische Regierung den allerdings vergeblichen Versuch, die Slowakei zur Erklärung ihrer Unabhängigkeit zu bewegen175. Bis zum 30. Oktober umfaßt die Liste polnischer Forderungen an die Tschechoslowakei neben den schon genannten Grenzverschiebungen die Gegend von Hrosow mit Kohlengruben und chemischen Fabriken, ein noch nicht ausgebeutetes Grubenfeld bei Hermanice, die Grube Ludwigsschacht bei Petrwald sowie die Bahn- und Straßenstrecke von Cerny nach Zwardon am Jablonka-Paß, und die Straße bei Lubkov in den Ostbeskiden. Die slowakische Regionalregierung, die sich offensichtlich nicht mehr sicher ist, daß die Prager Zentralregierung sie vor den polnischen Gebietsansprüchen schützen kann, wendet sich am 31. Oktober an die deutsche Reichsregierung und bittet, die Slowakei vor den nachgeschobenen Forderungen der Polen zu beschützen176. Am 4.
März 1939 beginnt die polnische Regierung, Truppen an die Grenze zu verle-174 PAAA, R 29770 und Roos, Polen und Europa, Seite 382
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gen. Am 12. März sind es inzwischen zwei volle Divisionen in und vor dem Teschener Gebiet177. Am 13. marschieren weitere Truppen aus Polen an die Grenze zur Karpato-Ukraine. Des weiteren drängt die polnische Regierung die rumä-
nische, sich der Eisenbahnlinien und der rumänischen Dörfer in der Karpato-Ukraine zu bemächtigen178.