Auch die ungarische Regierung stellt trotz ihres Landgewinns im Wiener Schiedsspruch weitere Forderungen. Dabei geht es nicht nur um die historischen Ansprüche, die die Ungarn geltend machen. Es geht auch um einen Streit der Ungarn und Ruthenen um die Zerstörung der Natur, die die Ruthenen mit dem Ab-holzen der Südhänge der Waldkarpaten treiben. Die Ruthenen versuchen, sich Devisen durch Holzexporte zu verschaffen. Sie treiben Raubbau in den Wäldern, die bisher die Niederschläge im Abgang zum Tal der Theiss gespeichert haben, und verursachen damit die Verkarstung der dortigen Karpaten und als Folge dessen die Versumpfung des Ackerlands im ungarischen Theiss-Tal. Am 8. März 1939 bietet Ungarn der Tschechoslowakei den Ankauf der Waldregionen in der Karpato-Ukraine an179. Ungefähr ab 11. März läßt Ungarn Truppen an den Grenzen zur Ostslowakei und zur Karpato-Ukraine aufmarschieren180. Am 13. März werden in ganz Ungarn Reservisten einberufen, und ein ungarischer Sender kündigt an, daß ungarische Truppen am 15. März marschieren werden, „um ihre ruthenischen Brüder zu befreien“. Am 14. März – zwei Tage vor dem deutschen Einmarsch in der Rest-Tschechei – kommt es bei Munkács zu einem ersten Grenzgefecht, bei dem ungarische Truppen ein Dorf auf der tschechoslowakischen Seite erobern und besetzen.
Auch die Rumänen haben nichts für ihre Nachbarn übrig. Am 13. März teilt der rumänische Außenminister Gafencu dem deutschen Botschafter in Bukarest mit, daß
Hitler weiß von den Ambitionen der Polen und der Ungarn und so beschließt er, Vorteil aus dem Zusammenbruch des ungeliebten Nachbarlands zu ziehen und den anderen Interessenten dabei zuvorzukommen. Am 12. März 1939 weist er Generaloberst Keitel an, daß sich die dafür vorgesehenen Heeres- und Luftwaf-fenverbände bereitzuhalten haben, am 15. März um 6 Uhr morgens in die Tschechei einzumarschieren182. Er hat offensichtlich ein ausgeprägtes Zeitgespür für den Ablauf solcher Dramen.
177 PAAA, R 29934, Blatt 213499
178 PAAA, R 29934, Blatt 213380
179 PAAA, R 29934, Blatt 213537
180 PAAA, R 29934, Blatt 213499
181 PAAA, R 29934, Blatt 213473
182 Keitel, Seite 235
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Der Druck von außen beschleunigt den Zerfall im inneren. Am 13. März reist der slowakische Ministerpräsident Tiso auf Einladung nach Berlin, um dort zu erkunden, wie sich die deutsche Reichsregierung im Falle einer Unabhängigkeits-erklärung der Slowakei verhalten würde. Hitler bekundet, daß Deutschland kein Interesse am Besitze dieses Landes hat, weil es – anders als die Tschechei – nie zum Deutschen Reich gehört hat. Doch Hitler fragt Tiso mit einem Hinweis auf den Truppenaufmarsch des ungarischen Heeres, ob die Slowakei nun
unabhängig werden oder zurück zu Ungarn wolle.
„
Tiso beendet das Gespräch mit Dank, doch ohne eine Antwort. Er fliegt am gleichen Tag zurück nach Preßburg und tritt anderntags vor seinen Landtag, den er zu diesem Zweck schon vor der Reise nach Berlin hatte einberufen lassen. Tisos Rede dort ist kurz und klar:
Die Reaktion ist eindeutig. Alle Abgeordneten erheben sich von ihren Plätzen und singen die slowakische Nationalhymne. Sofort nach dieser für die Slowakei historischen Versammlung schickt Präsident Tiso dem deutschen Reichsluftfahrtminister Göring ein Telegramm, in dem er schreibt: