Nun wußte Belopolski überhaupt nicht mehr, was er denken sollte. Wenn die Venusianer mehrere Schalen besaßen — warum grollten sie dann, wenn eine verlorenging? Was bedeutete, eigentlich dieser merkwürdige Gegenstand, dem sie offenbar so große Bedeutung beimaßen?
Die drei Venusianer wiesen mit der einen Hand auf die Schale und mit der anderen auf den Menschen, der ihnen gegenüberstand. Ihre Haltung war vielsagend, sie erteilten einen Befehl, der sich auf die Schale bezog.
Belopolski fühlte, wie ihm der kalte Schweiß auf die Stirn trat. Was wollten die Venusianer von ihm? Was sollte er tun?
Er ließ sich die „Unterhaltung“ vom vorhergehenden Tage durch den Kopf gehen und glaubte, sie plötzlich besser zu verstehen. Vielleicht hatten die Venusianer schon am Vortage das gleiche wie in diesem Augenblick von ihm verlangt. Dann hatten sie aber eingewilligt, daß dieses ihr Verlangen an Bord des Raumschiffes erfüllt würde. Dabei ereilte sie ein Mißgeschick — die Schale ging entzwei. Durch wessen Schuld dies geschah, war zunächst unwichtig. Sie beschlossen daher, ihre Absicht nun durch ihn zu verwirklichen. Aber worin bestand ihre Absicht?
Was brauchten sie?
Belopolski war gewöhnt, sich zu beherrschen. Er zwang sich zur Ruhe und zu kühlem Nachdenken.
Alles drehte sich offenbar um die Steinschale. Mit ihr mußte etwas getan werden. Sollte es ihm nicht gelingen, den Venusianern ihre Absicht zu entlocken? Am Tage zuvor hatte er sich doch auch mit ihnen verständigt.
Rechnen wir doch einmal auf, was wir schon wissen! dachte er. — Zweimal haben die Venusianer uns die Schale gereicht und sie wieder zurückgenommen. Das könnte ihren Auffassungen entsprechend heißen, daß wir uns bereit erklärten, ihre Bitte zu erfüllen. Darauf haben sie uns so verstanden, daß jene Bitte an Bord ausgeführt würde. Nachdem sie inzwischen — gleichviel, aus welchem Grunde — einen Mißerfolg erlitten haben, wollen sie, ich soll ihnen gleich hier den Wunsch erfüllen.
Belopolski nahm die Schale in die Hand. Die Venusianer hinderten ihn nicht daran, sie warteten.
Mit schier übermenschlicher Anstrengung überlegte Belopolski, was als nächstes zu tun sei. Die Schale zurückreichen? Natürlich nicht! Sie in den Wagen tragen? Auch das nicht! Etwas hineinlegen? Ihm fiel ein, wie der Venusianer den Zettel hinausgeworfen hatte. Also — auch nicht das Richtige!
Aber was dann?
Forschend sah Belopolski sich das Steingefäß an.
Das rosige Licht störte. Trotzdem bemerkte er, daß auf der Außenseite etwas eingeschnitten war. Verzierungen.
Er sah genauer hin, strengte seine scharfen Augen an und erblickte…
Was war das?
Wie eine flüchtige Vision huschten vor seinem geistigen Auge die schwarzweißen Felsen der Arsena vorüber… Der Talkessel… die Granitfiguren … Oktaeder, Dodekaeder, Kuben …
Genau solche Körper waren auf der Schale abgebildet, die den Herren der Venus gehörte.
Belopolski hob den Kopf. Ihm gegenüber standen die Venusianer. Sie sollten das geschaffen haben? … Nein, das war unmöglich! Die Venusianer und ein interplanetarer Flug — das paßte nicht zusammen!
Es war ein Zufall. Ein seltsamer Zufall!
Aber er konnte ja fragen …
Belopolski wies mit dem Finger auf die Figuren, die in die Schale geschnitten waren.
Der Venusianer wiederholte die Geste des Menschen und zeigte dann auf Belopolski. Die beiden anderen taten das gleiche.
Da durchfuhr den Kosmonauten ein unglaublicher Gedanke: Ob die Venusianer damit sagen wollten, die Schale gehöre Menschen? Daß Menschen sie geformt hätten?
Wenn sie aber nicht die Menschen meinten, dann … Ja, natürlich, nur so konnte es gemeint sein!
Wissenschaftler kennen solche Augenblicke. Der ForscherGedanke quält sich in einem verschlungenen Labyrinth und sucht nach einer Lösung. Und plötzlich flammt grell im Hirn die richtige Lösung auf, und alles, was finster und rätselhaft schien, wird klar.
Belopolski hatte verstanden.
Die Steinschalen sind nicht von den Venusianern hergestellt worden. Andere haben sie vor langer Zeit auf die Venus gebracht. Wer? Die gleichen Geschöpfe, von denen die Granitfiguren auf der Arsena stammen. Von Generation zu Generation vererbt sich auf der Venus immer noch die Erinnerung an diese unbekannten Besucher. Und die Venusianer glauben nun, Erdenmenschen hätten ihnen die Schalen hinterlassen, Menschen, die jetzt zum zweiten Male ihren Planeten besuchen. Natürlich wissen sie nichts von der Existenz der Erde, wissen sie nicht, woher und wozu damals und auch jetzt jene Geschöpfe, die ihnen gar nicht ähneln und eine ihnen unbekannte Technik besitzen, zu ihnen gekommen sind. Aber sie wollen, daß sie ihnen wiedergeben, was diese Schalen in ferner Vergangenheit darstellten und was sie anscheinend vergessen oder — was wahrscheinlicher ist — verloren haben.
Wozu dienten die Schalen? Das war die Frage.
Belopolski ergriff eine Scherbe.