Belopolski hatte die Brauen zusammengezogen und dachte angestrengt nach. Korzewskis Worte vom aufgetauchten Meeresgrund hatten in ihm einen Gedanken wachgerufen, der ihm aber sogleich wieder entschlüpft war, und er versuchte sich nun auf ihn zu besinnen. Toporkows Frage diente seinem Gedächtnis als Anstoß.
„Jetzt weiß ich es!“ rief er aus. „Ganz bestimmt ist es so! Es ist Ebbe eingetreten!“ erklärte er seinen Gefährten, die ihn verdutzt ansahen. „Die Sonne steht zur Zeit am östlichen Horizont. Sie hat die Ebbe bewirkt. In der Nacht wird dieses Ufer wieder von der Flut überspült werden.“ „Das klingt wie eine Entschlüsselung des Geheimnisses“, sagte Korzewski. „Eine derartige Deutung könnte vieles erklaren, denn die Nacht dauert auf der Venus sehr lange.“ „Also wird hier gegen Abend wieder Ozean sein?“ fragte Toporkow. „Was werden wir dann tun?“ „Es wird dunkel!“ rief Knjasew warnend.
Ein Gewitter nahte.
Alle zogen sich schleunigst in die Luftschleuse zurück, und Belopolski schloß die Tür. Kaum hatte er das getan, als heftiger Donnerschlag und Geknatter, die in ein gleichbleibendes Grollen übergingen, anzeigten, daß sich der nächste Regenguß über das Raumschiff ergoß.
„Die Gewitter lassen uns keine Ruhe“, sagte Belopolski.
„Wenn uns ein Gewitter unter freiem Himmel überraschen sollte, wird es uns schlecht ergehen.“ Niemand antwortete auf diese berechtigte Bemerkung Wtorows.
„Wo seid ihr?“ fragte Melnikow von der Zentrale aus.
„In der Luftschleuse. Wird es noch nicht wieder heller?“ „Nichts zu sehen. Die Bildschirme sind schwarz.“ Geduldig mußten die Männer das Ende des Gewitters abwarten. Es lohnte nicht, noch einmal die lange Prozedur über sich ergehen zu lassen, die mit dem Eintritt ins Schiffsinnere verbunden war. Das Gewitter konnte jeden Augenblick abziehen.
Tatsächlich war es zwanzig Minuten später vorüber. Die Tür wurde wieder geöffnet.
„Was mich am meisten wundert“, sagte Korzewski, „ist der Umstand, daß man nirgends Pfützen sieht. Eine derartige Sintflut müßte doch Spuren hinterlassen.“ „Die Pfützen könnten unter diesem roten Teppich stehen“, äußerte Toporkow unsicher. „Vielleicht ist dort ein richtiger Sumpf.“ Das Bild der Landschaft hatte sich nicht verändert, aber es fiel sofort auf, daß sich die vorher kaum wahrnehmbare Bewegung am Ufer verstärkt hatte. Häufiger atmeten die Lianen, schneller bewegten sich die Härchen der Aktinien, und krampfhafter wanden sich die Bänder am Boden.
„Ein weiterer Beweis dafür, daß die Heimat dieser Organismen das Wasser ist!“ Der Biologe triumphierte. „Sie haben sich nicht getäuscht, Konstantin Jewgenjewitsch!“ „Na, dann gehen wir einmal an Land!“ „Einen Augenblick!“ bat Wtorow, als er sah, daß Belopolski den Landesteg betreten wollte. „Erlauben Sie, daß wir Sie für alle Fälle anseilen.“ „Ja, das wäre angebracht.“ „Gennadi Andrejewitsch denkt als Alpinist immer an solchen Zauber“, sagte Toporkow lächelnd.
Vom Ende eines starken Seils umwickelt, das Wtorow in seinen muskulösen Händen hielt, schritt Belopolski über den Landesteg. Er blieb einen Augenblick stehen und überlegte, wohin er zuerst treten wollte. Behutsam setzte er den Fuß zwischen zwei rote Bänder. Dann tat er einen weiteren Schritt.
„Wasser ist nicht hier“, sagte er. Im selben Augenblick versank er auch schon in der Tiefe.
Das Seil spannte sich ruckartig. Wtorow wankte keine Sekunde. Mit wenigen Handgriffen zog er Belopolski auf den Steg zurück.
„Da sehen Sie, wozu solch ein Zauber gut ist“, sagte er spöttisch zu Toporkow.
Korzewski half Konstantin Jewgenjewitsch auf die Beine. Die Hose seiner Kombination war etwas beschmiert, aber völlig trocken. Also war Belopolski nicht ins Wasser gefallen.
„Meine Sohle ist auf der harten, schrägen, festen Oberfläche abgerutscht“, sagte er. „Ich glaube, der Boden ist hier porös.
Das erklärt, warum sich das Wasser nicht staut. Es läuft durch die Erdporen in die Bucht ab.“ „Lassen Sie mich einmal versuchen.“ „Nein, ich gehe.“ Er trat abermals an den Rand des Laufsteges und tastete mit der Spitze seines Elektrovibrators den Boden ab.
„Halten Sie gut fest!“ bat Toporkow besorgt.
Wtorow sah ihn grienend an.
Sicher, wenn auch sehr langsam, schritt Belopolski voran und untersuchte sorgfältig den Weg vor sich. Oft versank sein Vibrator in der Tiefe. Daran ließ sich erkennen, daß er auf einem unsichtbaren Pfad schritt, der zwischen Gruben von unbekannter Tiefe verlief. Vielleicht reichten sie gar bis zur Oberfläche der Bucht hinab.
Nachdem Belopolski sich sechs Schritt entfernt hatte, blieb er stehen und drehte sich zu seinen Gefährten um.
„Folgt mir und bindet euch alle an dem Seil fest. Tastet den Weg gehörig ab. Boris Nikolajewitsch!“ rief er.
„Ich höre“, antwortete Melnikow.