Читаем Die Morgenlandfahrt полностью

Damals freilich dachte ich, daß ich diesen Glauben nur allzu gerne gegen einen hoffnungsvolleren vertauschen würde. Erst später, als ich diesen traurigen Glauben verloren hatte und allen möglichen Meinungen zugänglich geworden war, sah ich ein, was ich an meinem Glauben besessen hatte.

Aber ich sehe, die Sache läßt sich auf diese Weise nicht erzählen. Aber auf welche Weise wohl ließe sie sich erzählen, diese Geschichte einer einzigartigen Seelengemeinschaft, eines so wunderbar erhöhten und beseelten Lebens? Ich möchte so gerne, als einer der letzten Überlebenden unsrer Kameradschaft, etwas vom Andenken unsrer großen Sache retten; ich erscheine mir wie der überlebende alte Diener etwa eines der Paladine Karls des Großen, welcher in seinem Gedächtnis eine strahlende Reihe von Taten und Wundern bewahrt, deren Bild und Andenken mit ihm dahinschwindet, wenn es ihm nicht gelingt, etwas davon durch Wort oder Bild, durch Bericht oder Lied an die Nachwelt weiterzuleiten. Aber wie nur, durch welchen Kunstgriff wäre es zu ermöglichen, wie wäre die Geschichte unsrerMorgenlandfahrt irgend erzählbar zu machen? Ich weiß es nicht. Schon dieser erste Anfang, dieser in bester Absicht begonnene Versuch führt mich ins Uferlose und Unverständliche.

Ich wollte einfach aufzuzeichnen versuchen, was mir vom Verlauf und den einzelnen Begebenheiten unsrer Morgenlandfahrt im Gedächtnis geblieben ist, nichts schien einfacher zu sein. Und nun, da ich noch kaum etwas habe erzählen können, bin ich an einer einzigen kleinen Episode, an die ich ursprünglich gar nicht gedacht hatte, bin ich an der Episode von Leos Verschwinden hängengeblieben und halte statt eines Gewebes ein Bündel von tausend verknoteten Fäden in Händen, welche zu schlichten und zu entwirren hundert Hände für Jahre beschäftigen würde, auch wenn nicht jedes einzelne Fadenstück, sobald man es anfaßt und leise daran ziehen will, so furchtbar spröde wäre und einem zwischen den Fingern abbräche.

Ich kann mir denken, daß es jedem Geschichtschreiber ähnlich geht, wenn er die Ereignisse irgendeines Zeitlaufs aufzuschreiben beginnt und es mit der Wahrheit ernst meint. Wo ist eine Mitte der Ereignisse, ein Gemeinsames, etwas, worauf sie sich beziehen und was sie zusammenhält? Damit etwas wie Zusammenhang, etwas wie Kausalität, etwas wie Sinn entstehe, damit überhaupt irgend etwas auf Erden erzählbar werde, muß der Geschichtschreiber Einheiten erfinden: einen Helden, ein Volk, eine Idee, und muß das, was in Wirklichkeit im Namenlosen passiert ist, dieser erfundenen Einheit geschehen lassen.

Aber wenn schon dies so schwierig ist, eine Anzahl wirklich geschehener und beglaubigter Ereignisse zusammenhängend zu erzählen, so ist es in meinem Fall noch viel schwieriger, denn alles wird zweifelhaft, sobald ich es recht genau betrachten will, alles entwischt und löst sich auf, so wie unsre Gemeinschaft, das Stärkste auf der Welt, sich hat auflösen können. Nirgends ist eine Einheit, eine Mitte, ein Punkt, um den das Rad sich dreht.

Unsre Fahrt nach Morgenland und die ihr zugrunde liegende Gemeinschaft, unser Bund, ist das Wichtigste, das einzig Wichtige in meinem Leben gewesen, etwas,woneben meine eigene Person vollkommen nichtig erschien. Und jetzt, wo ich dies Wichtigste, oder doch etwas davon, aufzeichnen und festhalten will, ist alles nur eine auseinanderscherbende Masse von Bildern, die sich in einem Etwas gespiegelt haben, und dieses Etwas ist mein eigenes Ich, und dieses Ich, dieser Spiegel erweist sich überall,wo ich ihn befragen will, als ein Nichts, als die oberste Haut einer Glasfläche. Ich lege meine Feder fort, zwar mit der Absicht und Hoffnung, morgen oder ein andresmal fortzufahren, vielmehr nochmals neu zu beginnen, aber hinter der Absicht und Hoffnung, hinter meinem ganzen unbändigen Drang nach dem Erzählen unsrer Geschichte steht ein tödlicher Zweifel. Es ist jener Zweifel, der auf der Suche nach Leo im Tal von Morbio begonnen hat. Dieser Zweifel stellt nicht nur die Frage: Ist deine Geschichte denn erzählbar? Er stellt auch noch die Frage: War sie denn erlebbar? Wir erinnern uns an Beispiele, daß sogar die Kämpfer des Weltkrieges, denen es doch wahrlich an Tatsachenberichten, an beglaubigter Geschichte nicht fehlt, zuweilen diese Zweifel haben kennenlernen müssen.


III


Ich habe, seit ich das vorige schrieb, mein Vorhaben nochmals und abermals in Gedanken umkreist und ihm beizukommen versucht. Eine Lösung habe ich nicht gefunden, ich stehe noch immer dem Chaos gegenüber. Aber ich habe mir das Wort gegeben, nicht nachzulassen, und im Augenblick, da ich dies Gelübde ablegte, überflog mich wie ein Sonnenstrahl eine glückliche Erinnerung.

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