Читаем Die Morgenlandfahrt полностью

Gewiß, der hatte mich abgelehnt und verurteilt.

Ich sagte ja. Das Urteil war mir gesprochen, schon vom Wolfshund, schon von mir selber.

»Selbstankläger H.«, hob Leo wieder an, und jetzt klang aus dem Goldglanz seines Ornates und seines Baldachins hervor seine Stimme so kühl und hell und durchdringend wie die Stimme des Komturs, wenn er im letzten Akt vor Don Jüans Tür erscheint.

»Selbstankläger H., Sie haben mich angehört, Sie haben ja gesagt. Sie haben, so vermuten wir, sich selbst schon das Urteil gesprochen.«

»Ja«, sagte ich mit leiser Stimme, »ja.«

»Es ist, so vermuten wir, ein verdammendes Urteil, das Sie über sich selbst gesprochen haben?«

»Ja«, flüsterte ich.

Nun erhob sich Leo auf dem Throne und breitete sanft die Arme aus.

»Ich wende mich nun an euch, ihr Oberen. Ihr habet gehört. Ihr wisset, wie es dem Bundesbruder H.

gegangen ist. Es ist ein Schicksal, das euch nicht fremd ist, mancher von euch hat es an sich selbst erleben müssen. Der Angeklagte wußte bis zur Stunde noch nicht, oder vermochte doch nicht recht daran zu glauben, daß sein Abfall und seine Verirrung eine Prüfung war. Er hat lange nicht nachgegeben.

Er hat es jahrelang ertragen, nichts mehr vom Bund zu wissen, allein zu bleiben und alles zerstört zu sehen, woran er geglaubt hatte. Endlich vermochte er sich aber doch nicht länger zu verbergen und zu drücken, sein Leid wurde zu groß, und ihr wisset, sobald das Leid groß genug ist, geht es vorwärts. Bruder H. ist durch seine Prüfung bis in die Verzweiflung geführt worden, und Verzweiflung ist das Ergebnis jedes ernstlichen Versuches, das Menschenleben zu begreifen und zu rechtfertigen.

Verzweiflung ist das Ergebnis eines jeden ernstlichen Versuches, das Leben mit der Tugend, mit der Gerechtigkeit, mit der Vernunft zu bestehen und seine Forderungen zu erfüllen. Diesseits dieser Verzweiflung leben die Kinder, jenseits die Erwachten. Angeklagter H. ist nicht mehr Kind und ist noch nicht ganz erwacht. Er ist noch mitten in der Verzweiflung. Er wird sie durchschreiten und wird damit sein zweites Noviziat leisten. Wir heißen ihn aufs neue im Bund willkommen, dessen Sinn zu verstehen er sich jetzt nicht mehr anmaßt.

Wir geben ihm seinen verlorenen Ring zurück, den der Diener Leo für ihn aufbewahrt hat.«

Schon brachte der Sprecher den Ring, küßte mich auf die Wange und steckte mir den Ring an den Finger. Kaum hatte ich den Ring erblickt, kaum seine metallne Kühle an meinem Finger verspürt, so fielen mir tausend Dinge, tausend unbegreifliche Versäumnisse ein. Es fiel mir vor allem ein, daß der Ring in gleichen Abständen vier Steine trägt und daß es Bundesgesetz ist und zum Gelübde gehört, mindestens einmal an jedem Tage den Ring langsam am Finger zu drehen und sich bei jedem der vier Steine eine der vier grundlegenden Vorschriften des Gelübdes zu vergegenwärtigen. Ich hatte nicht nur den Ring verloren und ihn nicht einmal vermißt, ich hatte auch alle diese schrecklichen Jahre hindurch niemals mehr die vier Grundvorschriften hergesagt und mich ihrer erinnert. Alsbald suchte ich sie mir innerlich wieder vorzusagen. Ich ahnte sie, sie lagen noch in mir, sie gehörten mir so, wie einem ein Name gehört, auf den man sich im nächsten Moment besinnen wird, der aber im Augenblick sich nicht finden lassen will. Nein, es blieb still in mir, ich konnte die Regeln nicht hersagen, ich hatte den Wortlaut vergessen. Ich hatte sie vergessen, hatte viele Jahre sie nicht mehr repetiert, hatte viele Jahre sie nicht mehr befolgt und heilig gehalten — und hatte mich dennoch für einen treuen Bundesbruder halten können!

Beruhigend klopfte mir der Sprecher auf den Arm, als er meine Bestürzung und tiefe Beschämung sah.

Und schon hörte ich auch den Obersten der Obern wieder sprechen.

»Angeklagter und Selbstankläger H., Sie sind freigesprochen.

Es muß Ihnen noch mitgeteilt werden, daß der in einem solchen Prozeß freigesprochene Bruder die Pflicht hat, in die Schar der Oberen einzutreten und einen ihrer Sitze einzunehmen, sobald er ein Probestück seines Glaubens und Gehorsams abgelegt hat. Die Wahl des Probestücks ist ihm freigestellt. Antworte mir nun, Bruder H., auf meine Fragen:

Bist du bereit, zur Erprobung deines Glaubens einen wilden Hund zahm zu machen?«

Ich schauderte zurück. »Nein, ich könnte es nicht«, rief ich abwehrend.

»Bist du bereit und willens, auf unsern Befehl unverzüglich das Archiv des Bundes zu verbrennen, so wie jetzt der Sprecher einen Teil davon vor deinen Augen verbrennt?«

Es trat der Sprecher vor, griff in die wohlgeordneten Zettelkästen, langte beide Hände voll Zettel heraus, viele Hunderte von Zetteln, und verbrannte sie zu meinem Entsetzen über einem Kohlenbecken.

»Nein«, wehrte ich ab, »auch das könnte ich nicht.«

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