Inzwischen hatte sich der Grünstreifen mit Sträuchern links von Pendergast zu einer Reihe von Hecken und gestutzten Formschnitt-Büschen verbreitert – jeder Abschnitt wurde von einem der schicken Hotels auf der anderen Seite der Promenade gepflegt. Jenseits dieser geschmackvollen Anpflanzungen verlief eine lange Böschung. Pendergast bog in eine schmale Gasse und stieg die Betontreppe hinauf, bis er ganz oben auf der Böschung angekommen war, von wo sich ihm ein freier Blick bot. Hier sah man einen weiteren schmalen Fußweg, schmal und sandig. Davor und unterhalb davon erstreckte sich der Strand; zwischen den Reihen der Sonnenschirme und Liegen standen in Abständen die Stationen der Rettungsschwimmer. Jenseits davon erstreckte sich der Atlantik, dessen strahlendes Himmelblau in Küstennähe in ein blasses Aquamarin überging.
Pendergast sah eine Zeit lang aufs Meer, dann wandte er sich nach Westen. Dabei verharrte sein Blick auf dem unfassbaren Reichtum, der sich in diesem Teil von Miami Beach zeigte. Dahinter waren die Biscayne Bay zu sehen und – noch weiter westlich – die Wolkenkratzer der Innenstadt von Miami. Mittlerweile war es halb acht, bald würde die Sonne hinter dem Horizont versinken, etwas, das zu Hause in New York bereits eineinhalb Stunden zuvor geschehen war. In der Ferne schimmerten pinkfarbene Wolken.
Eine Weile blieb Pendergast so stehen, während die sanfte Brise ihm das Haar zerzauste. Schließlich blickte er wieder hinunter zu dem Abschnitt mit den Sträuchern und der Uferpromenade, der mit gelbem Band abgesperrt war. Etliche Schaulustige in den Hotels gegenüber taten das Gleiche. Der Mord war bereits in den Nachrichten gemeldet worden, wobei es der Polizei aber gelungen war, das gestohlene Herz aus der Berichterstattung herauszuhalten.
Jetzt ging er im gleichen Schlendergang die Treppe wieder hinunter und näherte sich dem abgesperrten Bereich. Dieser bestand zum großen Teil aus einem brusthohen Irrgarten aus Hecken, die penibel gestutzt waren und zwischen der Uferpromenade und der Böschung lagen. Pendergast ging weiter, bis der untere Knopf seiner Anzugjacke so eben das Absperrband berührte. Es war unübersehbar, dass das Hauptereignis bereits stattgefunden hatte. Die einzigen Personen, die er innerhalb des abgesperrten Bereichs sah, waren ein Mitarbeiter der Kriminaltechnik – er trug noch Mundschutz und Überschuhe – sowie ein Polizeibeamter, die auf einer Bank in der Nähe saßen und offenbar den Tatort bewachten.
Pendergast hatte sich so leise genähert, dass der Beamte seine Anwesenheit gar nicht bemerkte. Erst als Pendergast sich unter das Absperrband duckte, blickte er herüber. Der leere Gesichtsausdruck des Mannes verwandelte sich in eine Miene der Verärgerung. Er erhob sich von der Bank und eilte herbei, wobei er die Hose ein wenig hochzog und den Dienstgürtel zurechtrückte. Er war Ende vierzig, hatte dünnes kastanienbraunes Haar, weit auseinanderstehende Augen und eine rötliche Gesichtsfarbe. Trotz der relativ dünnen Gliedmaßen spannte sich das Hemd über dem deutlich sich abzeichnenden Bauch.
»Ey!«, rief er in grobem Tonfall. »Sie da! Bleiben Sie stehen!«
Pendergast tat, wie ihm geheißen – doch erst nachdem er unter dem Absperrband hindurchgeschlüpft war und sich wieder aufgerichtet hatte.
Mit wutverzerrter Miene stapfte der Polizist heran. Auf den Wangen zeichneten sich winzige rote Äderchen ab. Unter der Schulterpartie war der blau-gelbe Schriftzug der Polizei Miami Beach aufgestickt. »Was zum Teufel glauben Sie, was Sie hier machen? Hier ist jeder Zutritt verboten. Treten Sie hinter das Absperrband zurück!«
»Entschuldigen Sie, Officer«, erwiderte Pendergast in seinem freundlichsten Ton, »aber ich glaube, ich kann eine Genehmigung für meine Anwesenheit vorweisen.«
Der Polizist musterte ihn abfällig. »Was sind Sie – ein Bestattungsunternehmer? Die Leiche ist schon vor Stunden abtransportiert worden.«
»Ich bin, fürchte ich, kein Bestattungsunternehmer, obschon Ihnen diese irrige Annahme verziehen sei. Ich bin Special Agent des FBI.«
»FBI?«
Die weit auseinanderstehenden Augen des Cops verengten sich. »Zeigen Sie mal Ihren Ausweis.«
»Gewiss.« Pendergast griff in eine der Innentaschen seiner Anzugjacke, zog ein schmales Ledermäppchen hervor und ließ es aufklappen. Der obere Teil enthielt seinen Ausweis mit Dienstgrad und Foto, darunter befand sich die Dienstmarke.
Der Cop schaute sich alles ganz genau an. Dann sah er wieder zu Pendergast, allerdings nicht mehr misstrauisch, sondern mit gesteigerter Neugierde. »FBI«, wiederholte er. »Ich hab tatsächlich davon gehört, dass ihr Jungs hier runterkommen werdet. Dass ihr euch mit uns
»Ganz recht«, sagte Pendergast. »Wie schön, dass Sie sich erinnern, Officer …«, er warf einen kurzen Blick auf dessen Namensschild, »… Kleinwessel. Also, wenn Sie nichts dagegen haben, schaue ich mich hier einmal kurz allein um.«