Sie waren unter den Ersten, die zum Abendessen in die Große Halle kamen, weil sie hofften, Hagrid zu treffen. Doch er kam nicht.
»Sie werden ihn doch nicht entlassen?«, sagte Hermine besorgt und rührte ihren Pudding nicht an.
»Das sollen sie bloß nicht wagen«, sagte Ron, der ebenfalls nichts runterbrachte.
Harry beobachtete den Tisch der Slytherins. Crabbe und Goyle und eine Menge andere Schüler saßen dort, die Köpfe zusammengesteckt, und redeten fieberhaft aufeinander ein. Harry war sich sicher, sie würden ihre eigene Geschichte zusammenbrauen, wie es zu Malfoys Verletzung gekommen war.
»Immerhin kann man nicht behaupten, der erste Schultag sei langweilig gewesen«, sagte Ron mit düsterer Miene.
Nach dem Essen gingen sie nach oben in den belebten Gemeinschaftsraum der Gryffindors und versuchten ihre Hausaufgaben für Professor McGonagall zu machen, doch alle drei unterbrachen ständig die Arbeit und spähten aus dem Turmfenster.
»Bei Hagrid drüben brennt Licht«, sagte Harry plötzlich.
Ron sah auf die Uhr.
»Wenn wir uns beeilen, können wir ihn besuchen, es ist immer noch recht früh…«
»Ich weiß nicht«, sagte Hermine bedächtig und Harry fing ihren Blick auf
»Ich darf sehr wohl über das Schulgelände gehen«, sagte er entschieden.»Sirius Black ist noch nicht an den Dementoren vorbeigekommen, oder?«
Also räumten sie ihre Sachen zusammen und kletterten durch das Porträtloch, froh, auf dem Weg zum Schloßportal niemanden zu treffen, denn ganz sicher waren sie sich ihrer Sache nicht.
Das Gras war immer noch naß und wirkte im Dämmerlicht fast schwarz. Vor Hagrids Hütte angelangt, klopften sie, und eine Stimme knurrte:»Herein.«
Hagrid saß in Hemdsärmeln an seinem polierten Holztisch; sein Saurüde Fang hatte den Kopf in seinen Schoß gelegt. Ein Blick genügte, um zu erkennen, daß Hagrid einiges getrunken hatte; vor ihm stand ein Zinnhumpen, fast so groß wie ein Eimer, und er schien Schwierigkeiten zu haben, sie klar zu sehen.
»Vermute mal, 's is 'n Rekord«, sagte er mit bräsiger Stimme, als er sie erkannt hatte.»Ham wohl noch kein' Lehrer gehabt, der nur 'nen Tag lang dabei war.«
»Du bist doch nicht entlassen!«, rief Hermine und hielt den Atem an.
»Noch nich«, sagte Hagrid bedrückt und nahm einen gewaltigen Schluck von was auch immer aus seinem Humpen.»Aber 's iß nur 'ne Frage der Sseit, nach der Ssache mit Maffoy…«
Sie setzten sich.»Wie geht's ihm denn?«, fragte Ron,»war doch nichts Ernstes, oder?«
»Ma'm Pomfrey hat ihn so gut sie konnte zusamm'geflickt«, sagte Hagrid dumpf,»aber er ssagt, er leide immer noch Todesqualen… alles in Bandagen… stöhnt die ganze Zeit…«
»Er tut doch nur so«, sagte Harry ohne Umschweife.»Madam Pomfrey kann alles heilen. Letztes Jahr hat sie die Hälfte meiner Knochen nachwachsen lassen. Daß Malfoy die Sache jetzt ausnutzt, war ja klar.«
»Der Schulbeirat is unterrichtet worden, natürlich«, sagte Hagrid niedergeschlagen.»Die meinen, ich wär zu groß eingestiegen. Hätte die Hippogreife für später aufheben sollen… lieber mit Flubberwürmern oder so was anfangen sollen… dachte nur, es wär 'ne gute erste Stunde für euch… alles mein Fehler…«
»Es ist alles Malfoys Fehler, Hagrid«, sagte Hermine mit ernster Stimme.
»Wir sind Zeugen«, sagte Harry.»Du hast gesagt, Hippogreife werden böse, wenn man sie beleidigt. Es ist Malfoys Problem, wenn er nicht hören wollte. Wir sagen Dumbledore, was wirklich passiert ist.«
»Ja, mach dir keine Sorgen, Hagrid, wir holen dich da raus«, sagte Ron.
Tränen kullerten aus den runzligen Winkeln um Hagrids käferschwarze Augen. Er packte Harry und Ron und umarmte sie, daß ihre Knochen krachten.
»Ich glaube, du hast genug getrunken«, sagte Hermine streng. Sie nahm den Humpen vom Tisch, ging nach draußen und schüttete ihn aus.
»Aaarh, vielleicht hat sie Recht«, sagte Hagrid und ließ Harry und Ron los, die beide zurückstolperten und sich die Rippen rieben. Hagrid hievte sich aus dem Stuhl und schwankte nach draußen zu Hermine. Sie hörten einen lauten Platscher.
»Was hat er getan?«, fragte Harry nervös, als Hermine mit dem leeren Humpen hereinkam.
»Den Kopf ins Wasserfaß getaucht«, sagte Hermine und räumte den Humpen beiseite.
Hagrid kam zurück, das Haar und der Bart klitschnaß, und wischte sich das Wasser aus den Augen.
»Jetzt geht's besser«, sagte er, schüttelte den Kopf wie ein Hund und spritzte sie alle naß.»Hört mal, das war gut, daß ihr mich besucht habt, ich bin wirklich -«
Hagrid verstummte jäh und starrte Harry an, als hätte er erst jetzt erkannt, wen er vor sich hatte.
»Was glaubst du eigentlich, was du hier zu suchen hast?«, brüllte er so plötzlich los, daß sie einen Luftsprung machten.»Du stromerst hier nicht rum, wenn es dunkel ist, Harry! Und ihr beiden! Ihr laßt ihn auch noch gehen!«
Hagrid war mit einem Schritt bei Harry, packte ihn am Arm und schleifte ihn zur Tür.
»Kommt schon!«, sagte Hagrid zornig,»ich bring euch alle drei hoch zur Schule, und laßt euch ja nicht mehr bei mir Blicken, wenn es dunkel ist. Das bin ich nicht wert!«
Der Irrwicht im Schrank