Harry hätte sich zur Belohnung lieber das Ende der Vorstellung gewünscht, doch er ging langsam auf den Hippogreif zu und streckte die Hand nach ihm aus. Er tätschelte ein wenig den Schnabel und der Hippogreif schloß entspannt die Augen, als würde es ihm gefallen.
Die ganze Klasse, außer Malfoy, Crabbe und Goyle, die äußerst mißvergnügt wirkten, brach in stürmischen Beifall aus.
»Jetzt weiter, Harry«, sagte Hagrid,»ich schätze, er läßt dich reiten!«
Damit allerdings hatte Harry nicht gerechnet. Er konnte auf einem Besen durch die Lüfte fliegen; doch er war sich nicht sicher, ob ein Hippogreif nicht etwas ganz anderes war.
»Steig auf, gleich hinter den Flügelansatz«, sagte Hagrid,»und paß auf, daß du keine Federn rausziehst, das mag er gar nicht…«
Harry setzte den Fuß auf den Flügel des Hippogreifs und schwang sich auf seinen Rücken. Seidenschnabel erhob sich. Harry wußte nicht recht, wo er sich festhalten sollte; alles vor ihm war voller Federn.
»Dann mal los!«, polterte Hagrid und klatschte dem Hippogreif auf den Hintern.
Ohne Vorwarnung spannte das Geschöpf seine drei Meter langen Flügel zu beiden Seiten von Harry aus; der hatte gerade noch Zeit, die Arme um seinen Hals zu schlingen, dann schoß er in die Höhe. Es war nicht zu vergleichen mit einem Besen, und Harry wußte, was er lieber fliegen wollte; die Flügel des Hippogreifs schlugen heftig aus, gerieten unter seine Beine und drohten ihn abzuwerfen; die schimmernden Federn rutschten ihm durch die Finger, doch er wagte nicht, sie fester zu packen; dies war nicht das sanfte Gleiten seines Nimbus Zweitausend; das Hinterteil des Hippogreifs hob und senkte sich mit jedem Flügelschlag und Harry wippte vor und zurück.
Seidenschnabel flog ihn einmal um die Koppel herum; dann neigte er den Kopf zur Erde; es war dieser steile Sinkflug, vor dem Harry Angst hatte; er lehnte sich zurück, als der glatte Hals sich nach unten beugte, und hatte das Gefühl, über den Schnabel abzurutschen. Dann gab es einen schmerzhaften Aufprall, als die vier schlecht zusammenpassenden Füße auf dem Boden aufschlugen; er konnte sich gerade eben noch festhalten und richtete sich wieder auf.
»Gut gemacht, Harry!«, rief Hagrid, und alle außer Malfoy, Crabbe und Goyle brachen in Jubel aus.»Gut, wer will als Nächster?«
Ermutigt durch Harrys Erfolg kletterte auch der Rest der Klasse vorsichtig in die Koppel. Hagrid löste die Hippogreife nacheinander von ihren Ketten, und bald waren auf der ganzen Koppel Schüler verteilt, die sich nervös verbeugten. Neville stolperte immer wieder rückwärts davon, denn sein Hippogreif wollte einfach nicht in die Knie gehen. Ron und Hermine übten unter den Augen von Harry mit einem kastanienbraunen Tier.
Malfoy, Crabbe und Goyle hatten sich Seidenschnabel vorgenommen. Er hatte sich vor Malfoy verbeugt, der ihm jetzt mit verächtlichem Blick den Schnabel tätschelte.
»Das ist doch kinderleicht«, schnarrte Malfoy so laut, daß Harry es hören konnte, hab ich doch gleich gewußt, wenn Potter es schafft… ich wette, du bist überhaupt nicht gefährlich, oder?«, sagte er zu dem Hippogreif,»oder doch, du großes häßliches Scheusal?«
Man sah nur ein stählernes Schnabelblitzen; von Malfoy kam ein durchdringender Schrei und schon war Hagrid zur Stelle. Er zwängte den Lederkragen über den Hals von Seidenschnabel und bemühte sich, zu Malfoy zu gelangen, der zusammengerollt im Gras lag. Blutflecken erschienen auf seinem Umhang und wurden langsam größer.
»Ich sterbe!«, schrie Malfoy, und Panik machte sich breit.»Ich sterbe, seht her! Es hat mich umgebracht!«
»Du stirbst nicht!«, sagte Hagrid mit todbleichem Gesicht.»Helft mir mal, ich muß ihn hier rausbringen -«
Hermine lief zum Tor und öffnete es, während Hagrid Malfoy mühelos von der Erde hob. Als Hagrid vorbeiging, bemerkte Harry eine lange, klaffende Wunde an Malfoys Arm; Blut besprenkelte das Gras, während Hagrid mit seiner Last den Abhang zum Schloß hochrannte.
Ratlos und verängstigt folgte ihm die Klasse. Die Slytherins schimpften lauthals über Hagrid.
»Sie sollten ihn sofort rauswerfen!«, sagte Pansy Parkinson mit Tränen in den Augen.
»Malfoy war doch selber schuld«, herrschte sie Dean Thomas an. Crabbe und Goyle spielten drohend mit den Muskeln.
Sie stiegen die steinerne Treppe zur menschenleeren Eingangshalle empor.
»Ich schau nach, wie es ihm geht!«, sagte Pansy, und die Blicke der Übrigen folgten ihr die marmorne Treppe hoch. Die Slytherins, immer noch über Hagrid schimpfend, zogen sich in ihren Gemeinschaftsraum unten in den Kerkern zurück; Harry, Ron und Hermine gingen die Treppen hoch zum Turm der Gryffindors.
»Glaubst du, er wird wieder gesund?«, sagte Hermine nervös.
»Natürlich, Madam Pomfrey kann Wunden in ein paar Sekunden heilen«, sagte Harry, dem die Krankenschwester schon viel schlimmere Verletzungen mit Zauberkräften geheilt hatte.
»Das war eine ziemlich üble Geschichte, ausgerechnet in Hagrids erster Unterrichtsstunde, meint ihr nicht?«, sagte Ron besorgt.»Ich wette, Malfoy wird ihm die Hölle heiß machen…«