Als Marie nun so wohlgemut in den Mörser stieß, dass er gar anmutig und lieblich, wie ein hübsches Liedlein ertönte, fing Nussknacker an sehr weitläuftig zu erzählen, wie es bei der grausenvollen Schlacht zwischen seinem und des Mausekönigs Heer ergangen, wie er der Feigheit seiner Truppen halber geschlagen worden, wie dann der abscheuliche Mausekönig ihn durchaus zerbeißen wollen, und Marie deshalb mehrere seiner Untertanen, die in ihre Dienste gegangen, aufopfern müssen usw., Marien war es bei dieser Erzählung, als klängen seine Worte, ja selbst ihre Mörserstöße, immer ferner und unvernehmlicher, bald sah sie silberne Flöre wie dünne Nebelwolken aufsteigen, in denen die Prinzessinnen, die Pagen, der Nussknacker, ja sie selbst schwammen. Ein seltsames Singen und Schwirren und Summen ließ sich vernehmen, das wie in die Weite hin verrauschte; nun hob sich Marie wie auf steigenden Wellen immer höher und höher, höher und höher, höher und höher.
Beschluss
Prr – Puff ging es! Marie fiel herab aus unermesslicher Höhe. Das war ein Ruck! Aber gleich schlug sie auch die Augen auf, da lag sie in ihrem Bettchen, es war heller Tag, und die Mutter stand vor ihr, sprechend:
– Aber wie kann man auch so lange schlafen, längst ist das Frühstück da!
Du merkst es wohl, versammeltes, höchst geehrtes Publikum, dass Marie ganz betäubt von all den Wunderdingen, die sie gesehen, endlich im Saal des Marzipanschlosses eingeschlafen war, und dass die Mohren oder die Pagen, oder gar die Prinzessinnen selbst, sie zu Hause getragen und ins Bett gelegt hatten.
– O Mutter, liebe Mutter, wo hat mich der junge Herr Drosselmeier diese Nacht überall hingeführt, was habe ich alles Schönes gesehen!
Nun erzählte sie alles beinahe so genau, wie ich es soeben erzählt habe, und die Mutter sah sie ganz verwundert an. Als Marie geendet, sagte die Mutter:
– Du hast einen langen sehr schönen Traum gehabt, liebe Marie, aber schlag dir das alles nur aus dem Sinn.
Marie bestand hartnäckig darauf, dass sie nicht geträumt, sondern alles wirklich gesehen habe, da führte die Mutter sie an den Glasschrank, nahm den Nussknacker, der, wie gewöhnlich im dritten Fache stand, heraus und sprach:
– Wie kannst du, du albernes Mädchen nur glauben, dass diese Nürnberger Holzpuppe Leben und Bewegung haben kann.
– Aber, liebe Mutter, fiel Marie ein, ich weiß es ja wohl, dass der kleine Nussknacker der junge Herr Drosselmeier aus Nürnberg, Pate Drosselmeiers Neffe ist.
Da brachen beide der Medizinalrat und die Medizinalrätin in ein schallendes Gelächter aus.
– Ach, fuhr Marie beinahe weinend fort, nun lachst du gar meinen Nussknacker aus, lieber Vater! Und er hat doch von dir sehr gut gesprochen, denn als wir im Marzipanschloss ankamen, und er mich seinen Schwestern, den Prinzessinnen, vorstellte, sagte er, du seist ein sehr achtungswerter Medizinalrat!
Noch stärker wurde das Gelächter, in das auch Luise, ja sogar Fritz einstimmte. Da lief Marie ins andere Zimmer, holte schnell aus ihrem kleinen Kästchen die sieben Kronen des Mausekönigs herbei, und überreichte sie der Mutter mit den Worten:
– Da sieh nur, liebe Mutter, das sind die sieben Kronen des Mausekönigs, die mir in voriger Nacht der junge Herr Drosselmeier zum Zeichen seines Sieges überreichte.
Voll Erstaunen betrachtete die Medizinalrätin die kleinen Krönchen, die von einem ganz unbekannten aber sehr funkelnden Metall so sauber gearbeitet waren, als hätten Menschenhände das unmöglich vollbringen können. Auch der Medizinalrat konnte sich nicht satt sehen an den Krönchen, und beide, Vater und Mutter, drangen sehr ernst in Marien, zu gestehen, wo sie die Krönchen herhabe? Sie konnte ja aber nur bei dem, was sie gesagt, stehen bleiben, und als sie nun der Vater hart anließ und sie sogar eine kleine Lügnerin schalt, da fing sie an heftig zu weinen, und klagte:
– Ach, ich armes Kind, ich armes Kind! Was soll ich denn nun sagen!
In dem Augenblick ging die Tür auf. Der Obergerichtsrat trat hinein, und rief:
– Was ist da, was ist da? Mein Patchen Marie weint und schluchzt? Was ist da, was ist da?
Der Medizinalrat unterrichtete ihn von allem, was geschehen, indem er ihm die Krönchen zeigte. Kaum hatte der Obergerichtsrat aber diese angesehen, als er lachte, und rief:
– Toller Schnack, toller Schnack, das sind ja die Krönchen, die ich vor Jahren an meiner Uhrkette trug, und die ich der kleinen Marie an ihrem Geburtstage, als sie zwei Jahre alt worden, schenkte. Wisst ihr’s denn nicht mehr?
Weder der Medizinalrat noch die Medizinalrätin konnten sich dessen erinnern, als aber Marie wahrnahm, dass die Gesichter der Eltern wieder freundlich geworden, da sprang sie los auf Pate Drosselmeier und rief:
– Ach, du weißt ja alles, Pate Drosselmeier, sag es doch nur selbst, dass mein Nussknacker dein Neffe, der junge Herr Drosselmeier aus Nürnberg ist, und dass er mir die Krönchen geschenkt hat!
Der Obergerichtsrat machte daher ein sehr finsteres Gesicht und murmelte:
– Dummer einfältiger Schnack.