Selbst das alte griechische Orakel in Delphi, das aus der
Ob als verballhomtes Delphi-Orakel, ob als babylonisches Stemdeuten oder biblisches Menetekel, ob als Bauern — und Wetterregel, als zigeunerische Handlesekunst oder urtümliche Deutung der Verästelungen des Farnkrauts: Der allgemein-menschliche — und hilflose — Versuch einer Zukunftsvorhersage, der bei zahllosen Völkern beharrlich unternommen wurde, bezeichnet das zentrale Geschehen in diesem Brodsky-Gedicht, auch wenn der postmoderne Dichtersich dem Gegenstand ironisch-parodistisch nähert.
Der Dichter selber ist das archaische «Farnkraut», das hier seine «Anmerkungen zur Zukunft» macht. Er ist selber ein Instrument der Zukunftsdeutung, ein später Vertreter der alttestamentarischen Propheten, auch wenn er die hehre Instanz noch so parodistisch bricht. Damit wird ebenso der Ursprung der Poesie aus der Magie, aus den Zaubersprüchen beschworen wie die uralte Verbindung von Poesie und Orakel. Der Gott der Poesie und der Gott des Orakels ist ein und derselbe: Apollon.
Dieses «Farnkraut» namens Brodsky kennt das Resultat aller Zukunft von allem Anfang an, wenn er die Verfahren der Mantik ironisch bis sarkastisch einander ablösen lässt. Er kennt die «Perspektive», die auch in anderen Gedichten der Spätzeit Brodskys aufblitzt, das Ziel und Ende eines jeden Menschenlebens: Du wirst sterben. In der leicht saloppen Version der 3. Strophe: «Der Helle hat / überall die Perspektive dass er aus dem Gesichtsfeld / kippt. Und hört er eine Glocke an sein Hörorgan flitzen / so schlägt die ihm: man säuft man sticht man gibt den Teller ab» («Человеку всюду / мнится та перспектива, в которой он / пропадает из виду. И если он слышит звон, / то звонят по нему: пьют, бьют и сдают посуду»).
Dass diese Perspektive universal gültig ist, besagt gerade das verschlüsselte Zitat der Totenglocke, die bei einem von Brodskys Lieblings-dichtem auftaucht — bei dem «metaphysical poet» John Donne (1572–1631), den er nicht nur in der «Großen Elegie für John Donne» von 1963 würdigte, sondern auch ins Russische übersetzte. Im Anhang zu seinem ersten autorisierten Gedichtband «Haltestelle in der Wüste» («Остановка в пустыне», New York, 1970) finden sich vier Übertragungen von Gedichten John Donnes.
Das Zitat der Totenglocke, das schon Hemingway für den Titel seines Romans «For Whom the Bell Tolls» («Wem die Stunde schlägt») sich aneignete, findet sich in der 17. Andacht des 1623 entstandenen Andachtbuches «Devotions» von John Donne: