Brodsky ist der Stoiker der Postmoderne. Im Jahr 1994, ein gutes Jahr vor seinem Tod, widmete er einen seiner letzten Essays Marc Aurel (121–180), dem römischen Kaiser und Autor der
Die allgegenwärtige Perspektive des Sterbens im Werk des von seiner Herzkrankheit dauemd bedrohten, am 28. Januar 1996 dem Herztod erlegenen Joseph Brodsky schließt die Gegenmittel und Strategien der Überwindung nicht aus, den Imperativ des Schreibens und Gedenkens. Kein anderes Gedicht resümiert derart prägnant Brodskys Lebensmaximen wie «Anmerkungen eines Farns». Prinzipien, die er hier, nach der parodistischen Reihung diverser Verfahren der Zukunftsdeutung, in eine Anzahl Ermahnungen kleidet: Vermeidung der Tautologie, Furchtlosigkeit angesichts des Todes, Bewahrung des Gedächtnisses in der Schrift, Gleichmut und Gelassenheit, Angstbewältigung dank der beharrlichen Schreibkunst, dank dem bescheidenen Geräusch des Schreibgeräts in der Stille. Es ist ein nicht etwa heilendes (eine solche Idee wäre Brodsky suspekt), aber zugleich erhebendes und ernüchterndes Geräusch. Es ist die klangliche Entsprechung einer Lebens— und Sterbenslehre «im Kleinen», in der Miniatur. Es ist die bescheidene Musik des Farns.
Zur Rezeption Fremder Kulturen in der russischen Moderne am Beispiel Armeniens
Konstantin M. Azadovskij gehört zu den Pionieren der Wiederentdeckung und Erschließung der Literatur des «Silbernen Zeitalters». Ihm gebührt das Verdienst, die russische Moderne nicht nur als nationales Kulturgut, sondern als Bestandteil der europäischen Moderne in ihren intemationalen Beziehungen und Verflechtungen in den Blick genommen zu haben[246]
. Zu diesem gesamteuropaischen Horizont gehört auch die Tatsache, dass bei aller Unterschiedlichkeit der poetischen Konzepte sowohl die Symbolisten als auch die Akmeisten ein kulturelles Programm vertraten, das die eigene Position nicht durch Ausgrenzung des Fremden bestimmte, sondern die, im Gegenteil, in bewusster Aneignung fremder Kulturen und in der Auseinandersetzung mit ihnen, ihren eigenen Platz in der Weltkultur suchten. Die Symbolisten proklamierten die Kulturals den Weg zur allumfassenden «Synthese» (Belyj, Ivanov), die Akmeisten verteidigten Kultur als einen universellen Wert (Achmatova) und sprachen in Zeiten der Barbarei von der «Sehnsucht nach Weltkultur» (Mandel’štam).In der russischen Literatur spielte traditionell auch die Beschäftigung mit dem eigenen Fremden, dem Kaukasus, der Krim und Sibirien eine wichtige Rolle. Die eroberten Gebiete wurden zu Objekten ästhetischer Aneignung, ohne dass die Kolonialismuspolitik des Zarenreiches prin-zipiell in Frage gestellt worden wäre (zu den Ausnahmen gehört der spate Lev Tolstoj). Die gelegentlichen Hinweise bei Puškin oder Marlinskij, dass Georgien und Armenien uralte christliche Zivilisationen seien, ändern nichts am kolonialistischen Gesamttenor der Behandlung des russischen Ostens in der klassischen russischen Literatur[247]
. Zu untersuchen wäre nun, inwieweit die Autoren der Moderne neue Facetten in die literarische Eroberung des russischen Orients einbringen. Zu fragen wäre auch, was mit ihren Syntheseansätzen in der sowjetischen Ära geschieht, die ja eine neue Phase der Kolonialisierung einleitet. Hier erõffnet sich ein weites Forschungsfeld, zu dem an dieser Stelle nur kurze Überlegungen angestellt werden können.Am Beispiel der Armenien-Texte von Brjusov, Belyj und Mandel’štam soil gezeigt werden, dass diese Autoren ihr im «Silbemen Zeitalter» ausgebildetes Kulturverständnis in die sowjetische Ära hinüber zu retten versuchen, was den Dissens mit der offiziellen Kulturpolitik vorprogrammiert.