Ich sch"atze meine Vergangenheit gegen meine Zukunft, finde aber beide vortrefflich, kann keiner von beiden den Vorzug geben und nur die Ungerechtigkeit der Vorsehung, die mich so beg"unstigt, muss ich tadeln.
Nur als ich in mein Zimmer trete, bin ich ein wenig nachdenklich, aber ohne dass ich w"ahrend des Treppensteigens etwas Nachdenkenswertes gefunden h"atte. Es hilft mir nicht viel, dass ich das Fenster g"anzlich "offne und dass in einem Garten die Musik noch spielt.
10. DIE VOR"UBERLAUFENDEN
Wenn man in der Nacht durch eine Gasse spazieren geht, und ein Mann, von weitem schon sichtbar – denn die Gasse vor uns steigt an und es ist Vollmond – uns entgegenl"auft, so werden wir ihn nicht anpacken, selbst wenn er schwach und zerlumpt ist, selbst wenn jemand hinter ihm l"auft und schreit, sondern wir werden ihn weiter laufen lassen.
Denn es ist Nacht, und wir k"onnen nicht daf"ur, dass die Gasse im Vollmond vor uns aufsteigt, und "uberdies, vielleicht haben diese zwei die Hetze zu ihrer Unterhaltung veranstaltet, vielleicht verfolgen beide einen dritten, vielleicht wird der erste unschuldig verfolgt, vielleicht will der zweite morden, und wir w"urden Mitschuldige des Mordes, vielleicht wissen die zwei nichts von einander, und es l"auft nur jeder auf eigene Verantwortung in sein Bett, vielleicht sind es Nachtwandler, vielleicht hat der erste Waffen.
Und endlich, d"urfen wir nicht m"ude sein, haben wir nicht soviel Wein getrunken? Wir sind froh, dass wir auch den zweiten nicht mehr sehn.
11. DER FAHRGAST
Ich stehe auf der Plattform des elektrischen Wagens und bin vollst"andig unsicher in R"ucksicht meiner Stellung in dieser Welt, in dieser Stadt, in meiner Familie. Auch nicht beil"aufig k"onnte ich angeben, welche Anspr"uche ich in irgendeiner Richtung mit Recht vorbringen k"onnte. Ich kann es gar nicht verteidigen, dass ich auf dieser Plattform stehe, mich an dieser Schlinge halte, von diesem Wagen mich tragen lasse, dass Leute dem Wagen ausweichen oder still gehn oder vor den Schaufenstern ruhn. – Niemand verlangt es ja von mir, aber das ist gleichg"ultig.
Der Wagen n"ahert sich einer Haltestelle, ein M"adchen stellt sich nahe den Stufen, zum Aussteigen bereit. Sie erscheint mir so deutlich, als ob ich sie betastet h"atte. Sie ist schwarz gekleidet, die Rockfalten bewegen sich fast nicht, die Bluse ist knapp und hat einen Kragen aus weisser kleinmaschiger Spitze, die linke Hand h"alt sie flach an die Wand, der Schirm in ihrer Rechten steht auf der zweitobersten Stufe. Ihr Gesicht ist braun, die Nase, an den Seiten schwach gepresst, schliesst rund und breit ab. Sie hat viel braunes Haar und verwehte H"archen an der rechten Schl"afe. Ihr kleines Ohr liegt eng an, doch sehe ich, da ich nahe stehe, den ganzen R"ucken der rechten Ohrmuschel und den Schatten an der Wurzel.
Ich fragte mich damals: Wieso kommt es, dass sie nicht "uber sich verwundert ist, dass sie den Mund geschlossen h"alt und nichts dergleichen sagt?
12. KLEIDER
Oft wenn ich Kleider mit vielfachen Falten, R"uschen und Beh"angen sehe, die "uber sch"onen K"orper sch"on sich legen, dann denke ich, dass sie nicht lange so erhalten bleiben, sondern Falten bekommen, nicht mehr gerade zu gl"atten, Staub bekommen, der, dick in der Verzierung, nicht mehr zu entfernen ist, und dass niemand so traurig und l"acherlich sich wird machen wollen, t"aglich das gleiche kostbare Kleid fr"uh anzulegen und abends auszuziehn.
Doch sehe ich M"adchen, die wohl sch"on sind und vielfache reizende Muskeln und Kn"ochelchen und gespannte Haut und Massen d"unner Haare zeigen, und doch tagt"aglich in diesem einen nat"urlichen Maskenanzug erscheinen, immer das gleiche Gesicht in die gleichen Handfl"achen legen und von ihrem Spiegel widerscheinen lassen.
Nur manchmal am Abend, wenn sie sp"at von einem Feste kommen, scheint es ihnen im Spiegel abgen"utzt, gedunsen, verstaubt, von allen schon gesehn und kaum mehr tragbar.
13. DIE ABWEISUNG
Wenn ich einem sch"onen M"adchen begegne und sie bitte: »Sei so gut, komm mit mir« und sie stumm vor"ubergeht, so meint sie damit:
»Du bist kein Herzog mit fliegendem Namen, kein breiter Amerikaner mit indianischem Wuchs, mit wagrecht ruhenden Augen, mit einer von der Luft der Rasenpl"atze und der sie durchstr"omenden Fl"usse massierten Haut, Du hast keine Reisen gemacht zu den grossen Seen und auf ihnen, die ich weiss nicht wo zu finden sind. Also ich bitte, warum soll ich, ein sch"ones M"adchen, mit Dir gehn?«