spruch der Nordamerikaner auf die Ausbreitung ihrer Macht und ihrer Wertvorstellungen. Begonnen mit der Ausbreitung über den nordamerikanischen Kontinent, fortgesetzt mit dem Herrschaftsanspruch über beide Amerika in der Monroe-Doktrin, weitergeführt mit der „Befreiungseroberung“ der spanischen Kolonien in der Karibik und im Pazifik und der Unterstützung der Briten und Franzosen im Ersten Weltkrieg mündet diese Ausdehnung in einen zweiten großen Krieg, der die Welt von der „Krankheit der drei Schurkenstaaten“ Deutschland, Italien und Japan befreien soll. Die eine Seite dieses Tuns ist der Kreuzzug zum Schütze von Bedrohten, die andere ist die Ausdehnung von Macht, Markt und Moral, wobei die letztere aus der Sicht von Nichtamerikanern vor allem ihre Weltanschauung ist.
So schützen die Amerikaner erst ihre Siedler, dann die Länder Südamerikas und dann die Staaten Westeuropas und im Pazifik. Nordamerika fühlt sich dabei immer auf der Seite der Bedrohten und des Rechts. Als Nebenprodukte bleiben erst ein eroberter Kontinent, dann die Vorherrschaft über Südamerika und der Besitz der ehemals spanischen Kolonien, und nach 1919 als letzter Schritt auf diesem Weg die wirtschaftliche Durchdringung Europas und Chinas durch die USA.
Amerika, das hoch verschuldet in den Ersten Weltkrieg geht, steht nach dem Kriege als der größte Gläubigerstaat der Welt da. Es ist nicht auszumachen, ob hier der moralische Anspruch die Machtausdehnung angetrieben hat, oder ob der Machtanspruch die Moral als Etikett mißbraucht hat, oder ob sich beides in den USA auch nur in profitabler Weise zueinanderfügt.
Zu Beginn des Ersten Weltkriegs stehen sich die USA und Deutschland ohne Streit und Spannung gegenüber. Amerika befindet sich von 1914 bis 1916 nur mit seinem Nachbarn Mexiko in einem bewaffneten Konflikt. Vor seiner Wiederwahl zum Präsidenten verspricht Wilson den Menschen seines Landes, die USA aus dem fernen Krieg in Übersee herauszuhalten. Doch Amerika beliefert die Gegner Deutschlands über See mit Lebensmitteln, Rohstoffen, Munition und Waffen, und Deutschland versucht, die Versorgung seiner Gegner über das Meer ab Februar 1917 mit einem unbeschränkten U-Boot-Krieg zu unterbinden. Als ebenfalls im Februar 1917 das Kaiserliche Rußland in einer Revolution versinkt und als Ostfront gegen Deutschland ausfällt, wird der Krieg der Europäer plötzlich zum Risiko für Staat und Wirtschaft in den USA. Wenn Deutschland über die verbliebenen Gegner siegen sollte, wären alle Außenstände und Kredite in Frankreich und in England verlorene Geschäfte, und die USA wären nach dem Krieg der Europäer noch ärmer als zuvor. Die Gefahr, die Rußlands Niederlage für die Wirtschaft in den USA heraufbeschwört, der unbegrenzte U-Boot-Krieg auf dem Atlantik und ein zunächst geheimes, dann aber doch bekanntgewordenes Unterstützungsangebot der Deutschen an die Mexikaner führen dazu, daß Wilson am 2. April 1917 dem Deutschen Reich den Krieg erklärt und kurz darauf auch Österreich-Ungarn.
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Nun steht plötzlich die Industriemacht USA mit ihren Menschenmassen und der großen Kriegs- und Handelsflotte auf der Seite der Briten und Franzosen. Die drei genannten Mächte besiegen Deutschland, Österreich und Ungarn binnen zweier Jahre. Die zwei Fäden, die von hieraus auf den nächsten Krieg zulaufen, sind der Wandel des Deutschlandbildes in den USA und die Schäden, die Wilsons fünf Noten und seine 14 Punkte für die Deutschen nach der Niederlage 1919 hinterlassen.
Kaum daß Amerika 1917 in den Krieg eintritt, beginnen der Präsident sowie die politische Elite und die Presse in den Staaten, sich selbst moralisch auf- und Deutschland abzuwerten. In Amerika spricht man – statt sich ehrlich zum eigenen Vorteil zu bekennen – von den menschlichen Werten, die man nun schützen müsse, und davon, daß „die Welt für die Demokratie sicherer gemacht werden müsse“. Deutschlands U-Boot-Krieg wird zum „Krieg gegen alle Nationen“ und die „autoritäre Regierung in Deutschland“ zur „Herausforderung für die ganze Menschheit“. Die deutschen Frontsoldaten sind im Bewußtsein der amerikanischen Öffentlichkeit schon bald „brutale und bluttriefende Hunnen und Vanda-len“. Der Haß und die Verblendung, deren sich die Amerikaner im Ersten Weltkrieg als Stimulans bedienen, bleibt in vielen Köpfen nach dem Krieg lebendig.
Die Regierungen der USA unternehmen zwischen beiden Kriegen nichts, die von ihnen im Ersten Weltkrieg angeheizte antideutsche Stimmung wieder abzubauen.
Die Klischees von den „Hunnen“ leben in den Medien und den Kinofilmen weiter. So ist das Deutschlandbild geprägt, als sich 14 Jahre nach dem Ersten Weltkrieg eine neue deutsche Reichsregierung anschickt, die Versailler-Nachkriegsordnung aufzukündigen.