„Gut“, entschied er. „Setz dich rein, aber du darfst nur gucken und dich nicht bewegen.“ „Aber wird der Sessel unter meinem Gewicht nicht aus dem Leim gehen?“ „Der,Steg‘ hat ja auch gehalten, und der Sessel scheint aus demselben Material zu sein“, antwortete Melnikow.
Vorsichtig nahm Wtorow auf dem halbrunden Sitz Platz.
Nichts Bedrohliches geschah. Der Sessel hielt die Last aus.
Augenblicklich aber flammte im Zentrum der vor ihm befindlichen Facette wieder der blaue Ring mit dem gelben Kreuz auf.
Er war nicht länger als eine Sekunde sichtbar.
„Rühr dich nicht!“ schrie Melnikow.
Steif und starr saß Wtorow da und wandte kein Auge von der Facette. Nichts war in ihr zu sehen, aber plötzlich kam es ihm so vor, als sei sie dunkler geworden. Die glitzernden Punkte hatten sich in bewegungslose Lichtchen verwandelt.
Eine Minute verging, und noch eine. Nichts weiter geschah, nichts veränderte sich. Allmählich beruhigte sich Melnikow wieder.
„Siehst du etwas?“ fragte er.
„Nichts.“ „Warum bewegen sich die Punkte auf einmal nicht mehr?“ „Ich weiß nicht.“ „Das muß etwas zu bedeuten haben.“ „Aber was?“ Anscheinend drohte doch keine Gefahr. Am ehesten war anzunehmen, daß der blaue Kreis vor einer Berührung des Steuerpultes warnte. Die Phaetonen hatten das Signal wohl in der Hoffnung hinterlassen, die vernünftigen Wesen von einem anderen Planeten würden seine Bedeutung verstehen.
„Steh wieder auf!“ sagte Melnikow. „Aber vorsichtig.“ „Filmen Sie mich doch bitte in diesem Sessel“, bat Wtorow.
Er hatte seinem Kameraden die Kamera übergeben, bevor er sich setzte.
Melnikow erfüllte den Wunsch. Ernste Folgen konnten daraus ja nicht entstehen.
„Aufnahme eines Phaetonen am Steuerpult“, scherzte er.
„Ich stelle mir gerade vor, daß ich das Raumschiff tatsächlich zu steuern verstehe“, sagte Wtorow. „Ich mache die erforderliche Bewegung, und das Raumschiff löst sich vom Boden der Venus…“ Donnerähnliches Getöse ließ ihn verstummen. Eine unwiderstehliche Gewalt preßte ihn in den Sitz. Er sah, wie Melnikow vom Steg purzelte und gegen die runde Wandung prallte. Ein durchdringendes Pfeifen erhob sich, steigerte sich rasch von tiefen Tönen bis zu schneidender Höhe und riß ab. Das bekannte Gefühl erhöhter Schwere ließ keinen Zweifel daran, daß das Raumschiff mit zunehmender Geschwindigkeit emporstieg.
Sie verließen die Venus!
Der Herzschlag stockte ihnen, und um die Stirn legte es sich wie ein eiserner Reif.
Warum hatten die Triebwerke zu arbeiten angefangen? Sie hatten doch beide nichts angerührt und keine gefährlichen Bewegungen gemacht!
Der Tod war ihnen sicher, baldiger, unvermeidlicher Tod! Sie wußten ja nicht, wie dieses Raumschiff zu steuern war.
Gleichsam um die letzten Zweifel zu beseitigen, daß sie wirklich flogen, wurden die Wände der Kugel plötzlich durchsichtig.
Über ihnen gleißte die Sonne, und unter ihnen dehnte sich als ununterbrochener weißer Teppich das Wolkenmeer der Venus.
Das Blau des Himmels dunkelte rasch und wurde zum Schwarz.
Schon blitzten die ersten Sterne auf.
Sie flogen schneller und schneller, ins Unbekannte.
Melnikow lag immer noch an der Wandung, bestrebt, sich nicht zu rühren. Beim Fallen war er unverletzt geblieben, der Steg befand sich nur knapp einen Meter über dem „Boden“. Er wußte sofort, was geschehen war, verspürte aber ebenso wie Wtorow keine Furcht. Vier Weltraumfahrten mit ihren ständigen Gefahren hatten ihn gelehrt, in allen Situationen Ruhe zu bewahren.
Selbst die Besorgnis wich sofort und machte angestrengter Denkarbeit Platz.
Wie lange würde die Beschleunigung dauern? War sie begrenzt? Welche Geschwindigkeit konnte das Raumschiff der Phaetonen erreichen? Dem Gefühl nach überstieg die Beschleunigung nicht die der „SSSR-KS 3“. Wahrscheinlich betrug sie etwa zwanzig Meter pro Sekundenquadrat.
Weshalb war das Raumschiff gestartet? Der blaue Kreis hatte offensichtlich vor einer Gefahr gewarnt. Doch was hatten Wtorow und er getan, daß sie die Triebwerke dadurch in Gang setzten? Nur wenn sie das herausfanden, bestand Aussicht auf Rettung. „Wahrscheinlich sehr einfach wie bei allem Vollkommenen“, erinnerte er sich der Worte Wtorows. Ja, natürlich, sehr einfach — alles sprach dafür. Dermaßen einfach, daß man nicht darauf kam.
Bis in alle Einzelheiten rief sich Melnikow ihr Verhalten während der letzten Minuten in die Erinnerung zurück. Wtorow hatte gesessen, er selbst gestanden. Beide hatten sie sich nicht bewegt, abgesehen von der Filmaufnahme. Doch der Start erfolgte, als die Aufnahme bereits fertig war. Weitere Bewegungen hatten sie nicht mehr vollführt.
Das Raumschiff war nach den Worten Wtorows gestartet. Er hatte gerade vom Start gesprochen. Ein merkwürdiger Zufall.
Die Automatik des phaetonischen Raumschiffs konnte doch unmöglich Russisch verstehen und darauf reagieren! Das war doch‘ absurd. Aber warum dann der Start?
Die Wand, auf der Melnikow lag, war völlig durchsichtig.