Langsam und gleichmäßig veränderten Sonne und Venus ihre Stellung. Nicht das Raumschiff, sondern die Gestirne schienen sich zu drehen. Nach drei Stunden stand die Sonne unter und die Venus über ihnen.
Das Wendemanöver war beendet. Die Fliehkraft verschwand.
Das Raumschiff flog geradeaus, bewegte sich wieder auf den erst unlängst verlassenen Planeten zu. Aber während Wtorows Befürchtungen vor ein paar Stunden verfrüht gewesen waren, wurden sie jetzt ganz real. Die Venus war nahe. Mit ungeheurer Geschwindigkeit stürzten sie auf den Planeten zu. Es galt, Gegenmaßnahmen zu treffen.
„Laß uns noch einmal wenden“, sagte Melnikow. „Wir müssen weiter weg von der Venus. In ihrer Nähe Manöver auszuführen ist gefährlich.“ „In welche Richtung?“ fragte Wtorow sachlich.
Melnikow schmunzelte.
„Nun, sagen wir nach links. Um neunzig Grad.“ Wtorow nahm selbstsicher im Sessel Platz.
Sich eine Wendung von neunzig Grad vorzustellen, war nicht ganz einfach. Es genügte nicht, den Winkel zu nennen, man mußte ihn sich real vorstellen. Und zwar absolut genau. Melnikow legte sich für alle Falle auf einen der Stege.
Ein Ruck ging durch das Schiff. Melnikow spürte deutlich, wie Fliehkraft entstand und sofort wieder verschwand. Dann noch einmal, aber in anderer Richtung. Der „Phaetone“ warf sich hin und her, kam ins Taumeln. Die empfindliche Automatik Wtorows führte ungenaue Befehle gehorsam aus.
„Ruhig, Gennadi!“ schrie Melnikow.
Ein heftiger Ruck warf ihn vom Steg. Diesmal prallte er spürbar mit dem Kopf gegen die unsichtbare Wand. Aber der gleiche Ruck schleuderte auch Wtorow aus dem Sessel. Das Raumschiff beruhigte sich wieder.
„Weiß der Teufel, was los ist“, sagte Wtorow. „Es klappt einfach nicht.“ „Ruh dich aus. Bevor du wieder ans Pult gehst, üb dich ein bißchen.“ „Dann laß uns lieber in einen anderen Raum gehen.“ „Ja, ganz recht.“ Melnikow spürte, daß die Schwerelosigkeit aufgehört hatte.
Im Raumschiff wirkte eine kaum merkliche Schwerkraft. Wo mochte sie herkommen?
„Hast du vielleicht an Beschleunigung gedacht?“ „Nein. Ganz sicher nicht.“ „Dann stürzen wir auf die Venus zu.“ Die Anziehungskraft des Planeten wirkte sich allmählich aus.
Das beunruhigte Melnikow. Er sah, daß die Sonne, wenn auch nur sehr langsam, ihre Stellung veränderte. Die Schatten wanderten. Das Raumschiff raste geradewegs auf die Venus zu. Wenn es Wtorow nicht gelang, seine Gedanken ganz fest zu konzentrieren, war eine Katastrophe unvermeidlich. Das Schiff würde in der Atmosphäre verglühen und der Wissenschaft verlorengehen.
Was war zu tun? Wie konnte er Wtorow beruhigen, ihm sein früheres Selbstvertrauen wiedergeben? Melnikow sah seinem Kameraden am Gesicht an, daß er völlig verstört war. Man durfte ihm keineswegs sagen, daß nur noch wenig Zeit blieb.
„Ruh dich aus“, wiederholte er. „Wir können uns Zeit lassen!“ Jetzt bewährte sich an Melnikow die bei vier Raumfahrten erworbene starke Selbstbeherrschung. Sein Gesicht war ganz ruhig. Weder Wtorow noch sonst jemand hätte auch nur die‘ geringste Spur von Unruhe und Besorgnis darauf entdecken können, obwohl sie in Wahrheit rasch zunahmen.
Wtorow ahnte nichts von der schrecklichen Gefahr, die ihnen drohte.
„Ich werde mich jetzt üben“, sagte er. „Ich gehe erst dann wieder ans Pult, wenn ich mir den Winkel mit Sicherheit vorstellen kann. Haben wir noch Zeit?“ „Jede Menge“, antwortete Melnikow gleichmütig. „Beeil dich nicht. Wir müssen ganz sichergehen.“ Er selbst pflegte ebenso zu handeln. Noch ein mißglückter Versuch — und nichts konnte sie mehr retten. Die einmal eingeschlagene Taktik mußte, koste es, was es wolle, bis zum Schluß befolgt werden. Darin lag ihre einzige Chance.
„Bleib du hier“, sagte Melnikow. „Ich mache jetzt einen Rundgang durchs Schiff.“ Er trägt mir nichts nach, dachte Wtorow.
Möglichst unauffällig beobachtete er den Kameraden.
Melnikow trat an die Wand und drückte auf den Knopf, aber die Tür öffnete sich nicht. Die Mechanismen der Phaetonen hatten sich ganz auf „gedankliche Befehle“ umgestellt. Nun versuchte er, sich eine Öffnung vorzustellen. Aber ohne Erfolg.
Alles wäre viel einfacher, dachte Melnikow, wenn die Mechanismen auf die Bioströme meines Gehirns ansprächen.
„Soll ich die Tür offnen?“ fragte Wtorow.
„Nein, es hat doch keinen Zweck. Ich kann ja sowieso nirgendwo allein hingehen. Nur mit dir zusammen. Ich werd mich bemühen, dich nicht zu stören.“ Trotzdem öffnete sich die Tür.
Wtorow fluchte.
„Es ist eine Strafe“, sagte er. „Wieder habe ich gegen meinen Willen gedacht.“ „Ja, das ist eine schwierige Kunst. Aber denk an die Wendung.“ Wer kennt nicht die Geschichte von dem Mann, dem aufgegeben war, nicht an einen Affen zu denken, und der nun gerade fortwährend an ihn dachte. Das gleiche widerfuhr Wtorow.
Der Raum, in dem sie sich befanden, hatte zwei Türen. Bald öffnete und schloß sich die eine, bald die andere, und manchmal geschah es sogar bei beiden gleichzeitig. Unablässig flammte der blaue Ring mit dem gelben Kreuz auf und erlosch wieder.