Das erhabene Bild der Elementargewalten, die hier in der größeren Sonnennähe um ein vielfaches stärker waren als auf der Erde, drängte jedem Kosmonauten unwillkürlich die Frage auf: Wie wird es uns ergehen, wenn wir nach der Landung aussteigen? Werden die Erdenmenschen in den Händen der feindlichen Venusnatur nicht wie Spielzeug sein? Werden sie nicht vom Blitz verbrannt, von Regengüssen hinweggespült und von der giftigen Atmosphäre dahingerafft werden, sobald sie das schützende Schiff verlassen? Vielleicht wartete die Venus noch mit Dutzenden unbekannter Gefahren auf, um mit den fremden Eindringlingen abzurechnen, die ihr der Schwesterplanet geschickt hatte?
All das ging den Expeditionsteilnehmern durch den Kopf, während sie auf dem Bildschirm die entfesselten Elemente beobachteten.
„Ich hätte nie gedacht, daß die Natur der Venus so ungastlich ist, obwohl ich es durch den Film hätte wissen sollen“, gestand Romanow, der mit Toporkow zusammen in der Funkkabine wachte. „Könnten wir bei solch einem Unwetter überhaupt von Bord gehen?“ Igor Dmitrijewitsch sah ihn an und schmunzelte.
„Wir müssen, also werden wir gehen!“ sagte er. „Wenn Ihnen klar gewesen wäre, was Sie auf dieser Fahrt erwartet, hätten Sie sich wohl nicht gemeldet, was?“ „Ich habe keine Angst“, entgegnete der junge Geologe gekränkt.
„Aber ich bin sicher, daß Sie Angst haben. Und ich habe auch Angst. Wissen Sie, was Boris Nikolajewitsch immer wieder sagt?Es kommt nicht darauf an, daß man keine Angst hat, sondern darauf, daß man mit ihr fertig wird.‘“ „Na ja, Boris Nikolajewitsch …“ „Wieso?“ unterbrach ihn Toporkow. „Ist er aus einem anderen Holz geschnitzt? Er ist ein Mensch wie Sie und ich. Grübeln Sie nicht über die Gefahren, dann haben Sie auch keine Angst.
Hier geht es zu wie im Krieg. Alle gruselt‘s, aber jeder handelt.“ „Ich habe wirklich keine Angst, Igor Dmitrijewitsch“, begann Romanow, aber ausgerechnet in diesem Augenblick flammte ein gigantischer Blitz auf und schien direkt in den Schiffsrumpf einzuschlagen. Ohrenbetäubendes Krachen drang aus dem Lautsprecher, und das Schiff zitterte merklich.
Romanow wich unwillkürlich vom Bildschirm zurück.
„Entschuldigen Sie!“ sagte Toporkow. „Aber versuchen Sie nicht, mir einzureden, daß Ihnen dabei nicht bange wird. O nein!
Kosmische Flüge sind schrecklich!“ „Wenn es etwas zu tun gilt…“ „Das ist etwas anderes. Wir wissen, wozu wir uns verpflichtet haben. Wenn man an Ihnen gezweifelt hätte, wären Sie nicht in die Besatzung eingereiht worden.“ Zu Beginn der achten Stunde, die das Schiff über dem Meer flog, zeigten die Photometer an, daß das Licht allmählich schwächer wurde. Das Schiff hatte den Dämmerungsstreifen erreicht.
Achteraus im Osten neigte sich die Sonne dem Horizont zu.
Dank der geringen Geschwindigkeit, mit der sich der Planet um seine eigene Achse drehte, hatte „SSSR-KS 3“ die Sonne mühelos überholt.
Nach wie vor wurden nirgends Ufer eines Kontinents gesichtet. Belopolski beschloß, noch eine Stunde Kurs West zu halten.
Sollte sich dann immer noch kein festes Land zeigen, würde das Schiff den Dämmerungsstreif auf entgegengesetztem Kurs verlassen und im Norden oder Süden weitersuchen.
Es wurde allmählich immer dunkler.
Die Geräte des Steuerpultes boten die Möglichkeit, blind zu fliegen, aber es wäre sinnlos gewesen, in den Bereich der finsteren Nacht einzudringen. Das Schiff konnte bei Dunkelheit ohne vorschriftsmäßig ausgerüstete Raketenflughäfen nicht landen.
Als Melnikow, der gerade das Schiff führte, schon auf Gegenkurs drehen wollte, ertasteten die Radiowellen des Lokators im letzten Augenblick festes Land. Die gerade Linie auf dem Kontrollstreifen, die acht Stunden lang angezeigt hatte, daß weit und breit nur Ozean war, sprang steil in die Höhe und hüpfte dann, die Unebenheiten des noch fernen Landes wiedergebend, ungefähr auf gleicher Höhe weiter.
Es war noch einigermaßen hell. Das Festland mußte in wenigen Minuten zu erkennen sein — vorausgesetzt natürlich, daß es nicht bloß eine Insel war. Aber auch eine Insel konnte sich zum Landen eignen.
„Wie es scheint, haben wir im letzten Augenblick doch noch gewonnen“, sagte Belopolski.
„Abwarten“, antwortete Melnikow zurückhaltend. „Dem Lokator nach zu urteilen, liegt das Land genau voraus.“ Abermals geriet das Schiff in eine Gewitterfront, die jede Sicht unmöglich machte, und drohte so das Festland zu verfehlen. Melnikow setzte die Geschwindigkeit herab. Das war nicht ganz ungefährlich; die Wucht der gigantischen Wolkenbrüche konnte das Schiff in die Tiefe reißen. Aber das Risiko mußte eingegangen werden. Vielleicht war die Gewitterfront nicht breit?
Tatsächlich hatte das Schiff das Gewitter binnen drei Minuten hinter sich gelassen. Vor den Augen der Besatzung erstreckte sich ein orangeroter Streif.
Wenn dies eine Insel war, dann augenscheinlich eine sehr große, die sich für Landung und längeren Aufenthalt durchaus eignete. Das Schiff befand sich nun genau auf der Grenze von Tag und Nacht, und bald würde der Tag, der lange Tag der Venus anbrechen.