Die interessanteste Entdeckung jedoch befand sich hinter einem großen, in eine Wand eingelassenen Fenster. Sie stellten fest, dass sie in den Hauptturm der ›Kathedrale‹ blickten. An der Scheibe war eine alte, verschnörkelte Bronzeplatte befestigt, auf der noch ein kleineres, neueres Schild angebracht war.
Im Turm stand eine alte Weltraumrakete. Trotz der Rostlöcher in den Flanken und der allgegenwärtigen Korrosion war die Form noch sehr gut zu erkennen: ein langes, zylindrisches Geschoss mit erstaunlich dünnen Wänden und einer winzigen Kabine unterhalb der abgerundeten Nase.
Sie eilten zur Treppe. Im nächsten Stockwerk musste wieder ein Fenster sein …
Tatsächlich. Sie knieten sich auf den Boden, um den Motor besser studieren zu können.
»Ich bin mir nicht ganz …«, meinte Potter unschlüssig.
»Ungefähr wie der NERVA-Typ von der Erde«, stellte Whitbread beinahe flüsternd fest.
»Ein Atomantrieb, sehr frühes Stadium. Kleiner Spaltreaktor. Ein nichtaktiver Brennstoff wird durch den Reaktorkern aus Uran oder Plutonium geschickt. Noch keine Fusion …«
»Bist du sicher?«
Whitbread schaute sich den Antrieb noch einmal an, bevor er nickte. »Bin ich.«
Nach dem Verbrennungsmotor war erst der Atomspaltungsmotor entwickelt worden. Es gab immer noch Welten im Imperium, auf denen Verbrennungsmotoren verwendet wurden. Energie aus Atomspaltung allerdings war fast nur mehr ein Mythos. Während die beiden jungen Männer diese Reliquie aus den Anfängen des Atomzeitalters betrachteten, wurde ihnen zum ersten Mal das ungeheure Alter all der Gegenstände rundum bewusst, und sie fühlten, wie die Mauern stumm von Millennien erzählten.
Das Flugzeug landete neben den orangeroten Fetzen eines Fallschirms und dem durchlöcherten Rumpf eines Kegelbootes. Das Tor gleich dahinter stand anklagend offen.
Whitbreads Split sprang aus dem Flugzeug und rannte zu dem Kegel. Es zwitscherte etwas, und der Pilot kletterte hinaus und eilte hin. »Sie haben es aufgebracht«, sagte Whitbreads Split. »Ich hätte nie gedacht, dass Jonathon herausfindet, wie. Wird wohl Potter gewesen sein. Horst, besteht auch nur die geringste Chance, dass sie nicht hineingegangen sind?«
Staley schüttelte den Kopf.
Das Split trillerte wieder dem Braunen etwas zu. »Halt Ausschau nach irgendwelchen Flugzeugen, Horst«, sagte Whitbreads Split dann. Es sprach kurz mit dem anderen Braun-Weißen, das ebenfalls ausstieg und den Himmel beobachtete.
Das Braune holte sich Whitbreads abgelegten Druckanzug und den Gefechtspanzer. Es arbeitete rasch, hatte bald die Halsöffnung des Anzugs verschlossen und den fehlenden Helm durch irgendeine plastische Masseersetzt. Dann holte es die Reserveluftflasche vom Atemgerät und hantierte mit Werkzeugen, die es aus einer Gürteltasche holte, an den Ventilen herum. Plötzlich blähte sich der Anzug auf. Das Braune stellte ihn so hin, dass es aussah, als befände sich ein Mensch darin. Dann verband es die Schultern mit einem elastischen Seil und stach an jedem Handgelenk ein Loch.
Zischend strömte die Luft aus den Löchern … und der leere Anzug hob die Arme. Der Druck fiel weiter, und die Arme sanken hinunter. Frische Luft strömte durch das automatisch sich öffnende Ventil ein, und die Arme schnellten wieder hoch …
»Das sollte genügen«, sagte Whitbreads Split. »Wir haben deinen Anzug genauso hergerichtet und seine Temperatur auf eure normale Körpertemperatur erhöht. Wenn wir Glück haben, bombardieren sie ihn, ohne nachzuprüfen, ob du darin steckst.«
»Wir können uns natürlich nicht darauf verlassen. Ich wünschte, es gäbe eine Möglichkeit, den Anzug auf ein Flugzeug schießen zu lassen …«
Staley packte das Split an der Schulter und schüttelte es. Das Braune stand mit seinem leeren Lächeln gleichgültig daneben. Die tropische Sonne brannte jetzt am heißesten herunter. »Warum sollte uns jemand umbringen wollen?« wollte Staley wissen.
»Ihr seid alle zum Tod verurteilt, Horst.«
»Aber
»Wegen der Kuppel, ja. Tabu, nein. Wofür haltet ihr uns, für primitive Wilde? Ihr wisst zuviel, das ist alles. Tote plaudern nichts aus. Komm jetzt, wir müssen sie finden und da rausholen.«
Whitbreads Split bückte sich unter dem Tor: Es hatte das nicht nötig — aber Whitbread hätte sich bücken müssen. Das zweite Braun-Weiße folgte schweigend. Das Braune blieb draußen zurück, das ewige, sanfte Lächeln im Gesicht.
35
Flucht
Sie entdeckten die beiden anderen Kadetten in der Nähe der Kathedrale. Das dumpfe Geräusch von Staleys Stiefeln ließ Whitbread aufblicken; der Gang des einen Splits fiel ihm auf, und er fragte: »Fjunch(klick)?«
»Fjunch(klick).«
»Wir haben eine Erkundung …«
»Jonathon, dafür ist keine Zeit«, sagte das Split. Das zweite Braun-Weiße musterte sie mit sichtlicher Ungeduld.
»Wir sind wegen unbefugten Eindringens zum Tode verurteilt«, sagte Staley schroff.
»Ich weiß nicht, weshalb.«
Einen Augenblick schwiegen alle. Dann rief Whitbread: »Ich auch nicht! Das hier ist nichts als ein Museum …«