Mit äußerster Vorsicht kroch Pendergast weiter, bis er wieder fünfzig Meter zurückgelegt hatte. Die Schiebetür des Schuppens stand halb offen. Pendergast konnte nicht erkennen, wo sich der Schütze in der tiefen Dunkelheit dahinter positioniert hatte, und ihn nur dadurch lokalisieren, dass er einen Schuss provozierte: durch den damit einhergehenden Mündungsblitz. Selbst in diesem Fall war das Ziel immer noch zu weit entfernt, als dass seine Les Baer irgendetwas ausrichten konnte. Er musste auf fünfzig Meter herankommen, um einigermaßen sicher zu sein, dass der Schuss traf. Das Problem war: Bei einer Entfernung von fünfzig Metern, und wenn er mit seiner Les Baer gegen eine Winchester antreten müsste, wäre er so gut wie tot.
Die Logik der Situation war entsetzlich simpel. Solange die Möglichkeit bestand, dass Coldmoon noch lebte, konnte Pendergast die Insel nicht verlassen. Selbst wenn er versuchte, in den Sumpf davonzuschwimmen, würde der Schütze, wer immer es war, ganz bestimmt irgendwo ein zweites Boot – vermutlich im Bootshaus oder in einem der nahe gelegenen Schuppen – einsetzen, um ihn damit zur Strecke zu bringen. Und wenn der Schütze das versuchte, war außerdem wahrscheinlich, dass die Alligatoren Pendergast erwischten, lange bevor eine Kugel das erledigte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als den Schützen unschädlich zu machen, hier und jetzt.
Aus der Dunkelheit hinter der Schiebetür wurde irgendetwas herausgeworfen und landete ein, zwei Sekunden später im Wasser. Zunächst konnte Pendergast nicht erkennen, worum es sich dabei handelte. Aber die entlang des Ufers liegenden Alligatoren hatten es erkannt, blitzartig waren sie im Wasser, ein jähes Aufwallen um die Stelle herum, wo das Ding im Wasser gelandet war – sie schlugen wild um sich und kämpften darum, mit peitschenden Schwänzen und zuschnappenden Kiefern.
Sie rangelten sich um ein Stück Fleisch.
Noch ein Fleischstück wurde ins Wasser geworfen, wieder löste der Spritzer einen Fressrausch aus, und noch mehr von den Viechern glitten ins Wasser. Als der dritte Wurf kam, schoss Pendergast ins Dunkel des Schuppens – daraufhin wurde das Feuer erwidert, was ihn abermals zurück hinter einen mächtigen Zypressenstumpf trieb.
Das war eine neue Strategie. Inzwischen mussten wohl hundert Tiere im Wasser sein. Die Fleischstücke waren verzehrt worden, deshalb schwärmten die Reptilien aus, erweckt aus ihrer Starre und nach mehr gierend. Pendergast sah das Gekräusel und Gestrudel an der Wasseroberfläche, die kleinen Wellen deuteten auf die Bewegungen darunter hin. Einige Wellen hielten auf ihn zu. Er stellte sich hinter den Baumstumpf, ein Wurzelgeflecht, das in einem Holzknubbel endete. Dort ging er in die Hocke, in der Hoffnung, dass die hungrigen Tiere ihn nicht bemerken, nicht das Blut riechen würden, das aus seiner Schusswunde sickerte. Wenn er vor den sich nähernden Horden zu fliehen versuchte, würde er sie durch seine Bewegungen im Wasser nur auf sich aufmerksam machen.
Pendergast ließ das leere Magazin aus der Les Baer herausschnappen und schob das Ersatzmagazin hinein. Und dann presste er sich gegen den Baumstumpf, schob die Beine in das Wurzelgeflecht und verhielt sich völlig still. Er konnte die verschwommenen Umrisse der Alligatoren erkennen, sie bewegten sich hin und her wie riesige Aale. Ein Kopf tauchte auf, nur die Nasenlöcher und die Augen, dann noch ein Kopf, bis die Tiere überall zu sein schienen, hungrig umherspähend.
Er drückte sich weiterhin an den Baumstamm, mit einem Schützen auf der anderen Seite des Wassers und den Alligatoren ringsum.
46