»Ich sage Ihnen noch einmal, es ist ausgeschlossen, dass ich dafür verantwortlich bin. Lydia wollte sich in den Mund schießen, und ich habe nur versucht, vernünftig mit ihr zu reden, aber dann gab es ein Handgemenge und dann, na ja –«
Wieder brach die schrille Heulsusenstimme aus Pendergast hervor.
»Halt die Schnauze.«
»Im Gegensatz zu Ihren feigen Ausreden handelt es sich bei all diesen Morden um ein direktes Resultat Ihres Handelns, Commander, und Sie können gar nicht so dumm sein, das zu leugnen. Neun grausame, unnötige, sinnlose Morde.«
»Ich habe genug gehört.« Grove hob das Gewehr und zielte. Mit distanzierter Resignation nahm Pendergast wahr, wie der Abdruckfinger sich langsam krümmte. Er spannte die Muskeln an, bereit, in das strudelnde Wasser zu springen, im Wissen, dass es sich um eine nutzlose Geste handeln würde.
Aber jede Geste war besser als gar keine.
47
Während Pendergast sich für den finalen Sprung stählte, hörte er aus der Richtung des Boots einen Laut, einen dumpfen Aufprall. Groves Kopf schnappte nach vorn, als wäre er von hinten geschlagen worden. Sein Gewehr riss es nach oben, ein Schuss löste sich, die Kugel verfehlte ihr Ziel. Groves Gesichtsausdruck verwandelte sich, drückte plötzlich reines Erstaunen aus. Dann vollführte er eine Pirouette, die beinahe anmutig wirkte, und als sein Körper sich umdrehte, sah man den Griff eines Beils darin, die Klinge tief in die Rückseite seines Schädels gegraben. Einen Augenblick lang verharrte er, dann stürzte er kopfüber ins Wasser.
Wegen des Platschers, den Groves Leiche verursachte, und weil plötzlich neues Blut und Gehirnmasse im Wasser waren, entstand erneut wildes Strudeln. Ein Dutzend Alligatoren kamen zusammen, ihre Kiefer schnappten, die Schwänze schlugen, die Tiere packten die Leiche an allen Seiten und schüttelten sie hin und her.
Und jetzt sah Pendergast ein verbeultes Kajak, das hinter dem Propellerboot heranglitt. Ein junger Mann paddelte es, schlank und muskulös, mit kurz geschnittenem Haar und einem Grinsen, das wie für immer auf sein vernarbtes, schiefes Gesicht eingeprägt zu sein schien. Er trug ein T-Shirt mit der Aufschrift WEIL ES BITTER IST. Er hob einen Arm, ein zögerlicher Gruß, entblößte die sehr rote Zunge zwischen schwarzen Zahnstümpfen. »Agent Pendergast? Ich bin’s.«
»Mister Brokenhearts.«
Pendergast schaute dem jungen Mann zu, der leicht zitternd in das Propellerboot im Leerlauf stieg und es zwischen der Masse aus Alligatoren hinüber zum Baumstumpf lenkte. Pendergast ging an Bord. Der junge Mann spuckte ins Wasser, auf die Meute der reißenden, sich windenden, zuschnappenden Alligatoren. Inzwischen lag ein langes Filetiermesser, dessen rasiermesserscharfe Klinge geschwärzt war, in seiner Hand.
»Das also ist der Mann, der meine Mutter umgebracht hat. Ich hätte wissen müssen, dass es ein Cop ist. Ich bin Ihnen gefolgt, wissen Sie, seit ich Sie im Fernsehen gesehen habe –«
»Ich weiß«, unterbrach Pendergast und übernahm das Steuer. »Wir reden später darüber. Jetzt müssen wir weg von hier.«
»Nein. Nein, ich kann doch Archy nicht zurücklassen.«
»Wir haben keine Zeit.«
Der Griff um das Messer wurde fester, die Fingerknöchel wie weiß. »Aber Archy …
Pendergast drehte sich zu dem jungen Mann um und sah ihm fest in die Augen. »Indem Sie jenen Mann gestoppt haben, haben Sie ein Leben gerettet.
Der junge Mann glotzte ihn an, die rot geränderten Augen weit aufgerissen. »Das interessiert mich nicht. Meine Mutter ist tot. Nichts – keiner von
»Flüchten Sie sich nicht in die Literatur. Das ist feige, und Sie sind kein Feigling. Das hier ist die wirkliche Welt – in der wirkliche Menschen leben, verletzt werden und sterben.«
»Ja. Und Gewalt ist die einzige Antwort.«
»Hat Gewalt sich für Sie ausgezahlt? Haben Sie schon Abbitte geleistet? Fühlen Sie sich geheilt?« Er senkte die Stimme. »Glauben Sie mir, ich kenne mich mit Gewalt aus.«
Brokenhearts starrte ihn weiter an, sein missgestaltetes Gesicht zuckte, zeigte den Widerstreit seiner Gefühle.
»Hat Gewalt Ihnen Ihre Mutter zurückgebracht – gleichgültig, wie oft Ihr Vater es versucht hat? Und was hat die Gewalt mit Ihnen getan? Gewalt ist eine Antwort, aber sie ist die
Ein klagender Laut der Verzweiflung drang aus dem Mund des jungen Mannes.