Eine Bewegung, ein Strudel, und dann, als er kurz nach rechts schaute, erhaschte Pendergast einen Blick auf die Nasenlöcher und die Augen eines Alligators, der untertauchte und aus dem Blickfeld verschwand. Aber die Wasseroberfläche kräuselte sich immer noch wegen der Unterwasserbewegung, und die kleinen Wellen kamen geradewegs auf ihn zu.
Pendergast riss ein Bein aus dem schlammigen Grund und trat so zu, dass der Fuß mit dem Alligator in Kontakt kam. Dieser durchbrach die Wasseroberfläche mit beängstigender Geschwindigkeit, musterte ihn aus seinen Reptilienaugen, die langen, ungleichmäßigen Zahnreihen glänzten, das Maul war weit aufgerissen, und da feuerte Pendergast direkt in den Schlund des Alligators, dass es ihm den Hinterkopf wegriss. Das Reptil fiel zurück ins Wasser, in Todeszuckungen wild um sich schlagend.
Wieder wurde aus dem Haus ein Schuss abgefeuert, worauf links von Pendergast eine kleine Wasserfontäne aufspritzte.
Er ließ sich zurück ins Wasser gleiten. Sich so schnell fortbewegend, wie es ging, hielt er die Luft an und kroch mit offenen Augen auf allen vieren am Grund entlang, als erneut eine Kugel an ihm vorbeizischte, eine Spur von Luftbläschen hinter sich herziehend. Hinter einer Sumpfzypresse fand er Deckung. Von der Lodge, die zweihundert Meter entfernt lag, bot sich kein direkter Blick auf den Anlegesteg, aber Pendergasts Gezappel war zweifellos gehört worden, deshalb war es reines Glück, dass er nicht getroffen worden war. Ihm blieb nur eines übrig – er musste in gerader Linie vorrücken, dabei die Bäume als Sichtschutz zwischen sich und dem Haus nutzen und seine Entfernung zum Schützen erhöhen.
Als er sich umblickte, sah er erneut ein Augenpaar, das aus dem braunen Wasser hervorschaute, dann noch eins. Am Ende des Anlegestegs entstand ein Tumult: Der Alligator, den er erschossen hatte, wurde von seinen Artgenossen in Fetzen gerissen.
Das Wasser wurde tiefer, deshalb konnte er unter der Wasseroberfläche ungehindert schwimmen. Er packte das Extra-Magazin in seiner Anzugjacke und streifte sich das Jackett ab, peilte den nächsten Baum an, hielt die Luft an und tauchte unter. Dann schwamm er los, wobei er die Augen in dem trüben Wasser offen hielt. Größere Distanz, mehr schützende Bäume.
Inzwischen hatten die Schüsse aufgehört. Endlich war er zu weit in den Bäumen und zu weit entfernt, als dass der Schütze Kugeln verschwenden würde. Aber noch während er Luft holte, sah Pendergast eine kleine Welle. Wieder griff ein Alligator an, schnell unter der Wasseroberfläche schwimmend. Pendergast wappnete sich, hielt die Mündung der Waffe ins Wasser, und als er spürte, dass diese gegen etwas stieß, drückte er ab. Der Rückschlag riss ihm fast die Waffe aus der Hand, aber der Unterwasser-Schuss war erfolgreich. Das Reptil zuckte seitwärts, durchbrach die Wasseroberfläche, der Unterkiefer war teilweise weggerissen, dann fiel es zurück ins Wasser und ging in einer Wolke aus Blut unter.
Pendergast blieb im Wasser und begann, sich um die Insel vorzuarbeiten, sie in einer gewissen Entfernung zu umkreisen. Auf der anderen Seite ragte eine Landzunge ins Sumpfgebiet, sie bildete eine Art Lagune, an deren Spitze sich eine kleine Gruppe zerstörter Gebäude befand. Die Halbinsel war mit Elliott-Kiefern, Rohrkolben und Würgefeigen bestanden – dichtes Gestrüpp, das ausgezeichnete Deckung bot. Er arbeitete sich in Richtung Landzunge vor, wobei er den Kopf nur leicht über Wasser hielt und nicht nur auf Alligatoren, sondern auch auf Florida-Pumas achtgab, die in den Everglades vorkamen. Schüsse ertönten keine. Der Schütze musste seine Spur verloren haben.
Auf allen vieren kroch Pendergast zu einer schlammigen Uferböschung voller Mangroven. In geduckter Haltung lief er an der Wasserkante entlang, bis er die Landzunge erreichte. Er musste in Bewegung bleiben, seinen Gegner weiter im Unklaren lassen. Er verließ das Wasser und lief in geduckter Haltung durch das Unterholz. Dabei hielt er sich in den dichtesten Bereichen und achtete darauf, keinerlei Geräusch zu machen oder die Vegetation mehr als absolut nötig in Bewegung zu versetzen. Von Zeit zu Zeit konnte er die uralte Lodge so eben durch die Sumpfzypressen erkennen. Schließlich kamen die verfallenen Gebäude ins Blickfeld – Metallschuppen auf Stelzen über dem Wasser, ein Wellblechbootshaus, eine Sandbank, darauf verrostete 55-Gallonen-Fässer und kaputte Gerätschaften, zwei verrostete Flaschenzüge, der Rumpf eines alten Holzkahns. Und überall auf der Sandbank lagen Aberdutzende dicker Alligatoren, die sich dort zusammendrängten, wo die Sonne hinkam, ihre gepanzerten Rücken glänzten. Sie schienen zu schlafen, aber Pendergast wusste, dass das nur eine Jagdstrategie darstellte. Sie waren hellwach und warteten auf Beute.