Stop-and-go ging es weiter durch den Verkehr, bis sie den Reagan Turnpike erreichten, wo Pendergast Richtung Norden fuhr. Nach weiteren zwanzig Minuten gelangte er auf Interstate 75 bis zur Ausfahrt zur FBI-Zentrale. Als er das Tor passierte, kamen ihm zwei Pkws und ein Transporter entgegen. Als er zu einem der Eingänge auf der Rückseite des Gebäudes fuhr, kamen dort eine Vielzahl von Agenten, Mitglieder der Polizei Miami, Streifenwagen und Transporter in Sicht. Der Shelby kam zum Stehen, und ein halbes Dutzend Leute umringten den Wagen, öffneten die Türen und zerrten Brokenhearts heraus, der es widerstandslos über sich ergehen ließ.
Sandoval kam herüber, packte Pendergast am Arm und half ihm aus dem Wagen. Agenten, Mitarbeiter, leitende Beamte der Polizei Miami – alle waren da. Brokenhearts stand im heißen Glast der Sonne, die Hände das Buch umklammernd, mit gesenktem Kopf.
»Agent Pendergast, erlauben Sie mir, Ihnen zu gratulieren«, sagte Lieutenant Sandoval. Zusätzlich zu den Handschellen wurden Brokenhearts Fußfesseln angelegt. »Wenn ich fragen darf – wer zum Teufel ist das? Ich meine, wie ist sein richtiger Name?«
»Er heißt Vance.« Pendergast blickte sich um. »Bringen Sie mich zu einem Helikopter, ich will in die Uniklinik.«
In der Nähe stehende Agenten begannen, Befehle zu rufen und zu gestikulieren. Brokenhearts, der jetzt in Ketten war, wurde abgeführt. Als er an Pendergast vorbeikam, sah er herüber und murmelte eine letzte Zeile:
Der FBI-Helikopter brachte Pendergast von der Zentrale zum Hubschrauberlandeplatz auf dem Dach der Uniklinik, wo ihn weitere Agenten aus der FBI-Außenstelle und mehrere Detectives der Polizei Miami in Empfang nahmen. Er sprach kurz mit einem von ihnen, spurtete – so schnell sein verletztes Bein das erlaubte – vom Hubschrauber weg, vorbei an der Gruppe und in das Gebäude hinein. Er lief an den Aufzügen vorbei und nahm zwei Treppenstufen auf einmal, bis er das Stockwerk erreichte, in dem die Chirurgische Abteilung untergebracht war. In dem kleinen Wartebereich vor den OP-Sälen hielten zwei FBI-Agenten Wache.
»Coldmoon. Wie geht es ihm?«
»Wir holen einen Arzt, der mit Ihnen sprechen kann, Agent Pendergast.«
Pendergast nickte. Dann begann er, in dem kleinen Wartebereich auf und ab zu gehen, das einzige Geräusch waren seine leisen Schritte auf dem Fußboden aus Linoleum.
Schließlich kam eine Ärztin heraus, sie hatte noch den OP-Kittel an, mit Blutflecken darauf. »Mr Pendergast? Ich bin Dr. Webern.« Sie bot ihm nicht die Hand.
»Dr. Webern. Wie geht es ihm?«
Sie zögerte. »Na ja, er ist ein harter Knochen. Aber sein Zustand ist äußerst kritisch.«
»Seine Chancen?«
»Ich möchte da nicht spekulieren. Die Kugel hat die Lunge durchschlagen und eine ziemlich gewaltige Verletzung des Thorax verursacht. Er hat viel Blut verloren, und der Biss der Wassermokassinotter hat alles nur noch verschlimmert, da ihr Gift Gerinnungsstörungen auslöst. Es ist erstaunlich, dass er überhaupt überlebt hat. Aber wir haben ein Team von acht Chirurgen und vierzehn OP-Mitarbeitern, die für ihn arbeiten, und glauben Sie mir, darunter sind einige der besten in der Welt.«
Pendergast nickte stumm.
»Soll ich Ihnen einen Psychologen oder einen Pfarrer holen?«
»Nein danke.«
Sie runzelte die Stirn. »Kommen Sie zurecht, Agent Pendergast? Wenn Sie hier allein warten? Ihr Bein blutet.«
»Es wird schon gehen.«
»Wenn Sie mich dann bitte entschuldigen, man braucht mich wieder im OP.«
»Natürlich.«
Die Ärztin lächelte ihm zu, setzte den Mundschutz wieder auf, wandte sich um und entschwand im Operationsbereich.
49
Es dauerte keine zweiundsiebzig Stunden, bis er den OP-Schwestern gehörig auf die Nerven ging.
Coldmoon war erst wieder auf der Intensivstation aufgewacht. Zunächst hatte er geglaubt, er würde noch schlafen, gefangen in irgendeinem Albtraum aus grünen Wänden und hellen Zimmerdecken und Wesen mit Mundschutz, die umherliefen. Dann schlief er wieder ein. Als er das nächste Mal aufwachte, wurde ihm klar, dass es doch kein Traum gewesen war und er sich in etwas befand, das wie das Aufwachbett in einer Krankenhausintensivstation aussah. Ärzte kamen vorbei, spähten auf ihn herunter, beratschlagten sich dann mit leiser Stimme mit Kollegen. Krankenschwestern nahmen seine Vitalwerte, steckten eine Nadel in den Injektionsport seines IV-Katheters – und dann schlief er wieder ein. Leises Piepen und Summen und Wispern von Apparaten erfüllte die Stille. Das schien ewig so weiterzugehen, Schlafen und Wachen, Schlafen und Wachen, doch später wurde ihm bewusst, dass es nicht länger als vierundzwanzig Stunden gedauert haben konnte.