»Wir gehen jetzt zum sogenannten ›Kriegsraum‹, der Einsatzzentrale«, sagte Pendergast. »Dort bewahrt die Polizei Miami ihre elektronischen Spielzeuge auf. Dadurch stehen ihr die neuesten Informationen praktisch in Echtzeit zur Verfügung, dazu Links zu zahlreichen medizinischen und kriminologischen Datenbanken. Ich bin dabei, einen eignen kleinen Arbeitsplatz vorzubereiten, in einer weniger auffälligen Gegend, aber für eine erste Plauderei dürften die Räumlichkeiten genügen. Dieser Verbindungsbeamte, Commander Grove, hat versprochen, sich hier mit uns zu treffen, zusammen mit Lieutenant Sandoval.«
»Glauben Sie wirklich, dass Pickett sein Versprechen einhält und uns unsere Arbeit machen lässt, ohne dazwischenzufunken?«
»Noch hat man uns nicht in die Wüste geschickt, oder?« Sie traten aus dem Aufzug und gingen über einen mit diversen Geräten vollgestellten Flur. Coldmoon sah auf die Uhr: exakt fünfzehn Uhr.
Der »Kriegsraum« machte seinem Namen alle Ehre – er strotzte nur so von Computern und einer riesigen, glänzenden Wandtafel auf Rollen. Coldmoon blickte sich um. Einige Leuchtstofflampen hinter den Milchglas-Deckenpaneelen waren durchgebrannt, eine flackerte. Auf einem Tisch in der hinteren Ecke stand eine ramponierte Kaffeemaschine, umgeben von Stapeln Pappbechern und Kännchen mit Milchpulver. Er musste sich nur die halb volle Kanne ansehen, um zu wissen, dass sie nur ein, zwei Stunden auf der Warmhalteplatte gestanden hatte. Zu frisch. Trotz des High-tech-Equipments kam ihm das hier alles vertrauter vor als das schicke FBI-Hauptquartier in Miramar, wo Dr. Mars sie über das psychologische Profil des Täters aufgeklärt hatte. Der Raum verströmte eine Wohlfühl-Atmosphäre, ein Ort, an dem echte Polizeiarbeit geleistet wurde, mit Schleifspuren an den Wänden, einer scheppernden HLK-Anlage und ohne Fenster. Coldmoon entspannte sich.
Die Mitte des Raumes wurde von einem rechteckigen Tisch eingenommen. Am einen Ende saßen Sandoval und Commander Grove. Sandovals Miene war bemüht ausdruckslos, aber der Commander konnte seinen interessierten, ja, begierigen Gesichtsausdruck nicht ganz verbergen. Und warum auch nicht, es war schließlich eine spektakuläre Ermittlung, eine für die Geschichtsbücher.
»Meine Herren«, sagte Pendergast und nickte den Anwesenden nacheinander zu. »Dank der Arbeit von Dr. Fauchet wissen wir jetzt, dass Flayley derselben Art von Druck-Würgegriff ausgesetzt war, der auch zum Tod von Baxter führte. Kurzum, es handelt sich hier um Tötungsdelikte, die als Suizide inszeniert wurden.« Er drehte sich Sandoval zu. »Lieutenant, gibt es irgendetwas Neues, das Sie uns zur Kenntnis bringen möchten?«
Sandoval strich sich über den imaginären Schnauzer. Dabei verdüsterte sich seine Miene. »Dieser Schlagzeilenjäger Smithback stachelt die Bevölkerung auf. Erst gräbt er den Spitznamen Brokenhearts aus, dann findet er heraus, erst heute Morgen, dass Baxter und Flayley beim selben Seelenklempner in Behandlung waren.« Er griff nach seinem Handy und las laut aus einem Online-Artikel vor:
Zwar hat die Polizei es abgelehnt, die Texte der auf den Gräbern zurückgelassenen Briefe zu veröffentlichen, doch die gruseligen »Geschenke« selbst deuten auf eine psychisch gestörte Person hin, die überraschenderweise vielleicht nicht ins Schema des klassischen Psychopathen passt – von der aber allgemein angenommen wird, dass sie weder Reue noch so normale menschliche Regungen wie Mitgefühl und Einfühlungsvermögen kennt. Da gilt es zu fragen: Was bedeuten diese »Geschenke« für den Schenkenden? Verlust? Reue? Buße? Wenn die Behörden mehr Zeit darauf verwenden würden, die Psychologie von Mister Brokenhearts zu untersuchen, und sich fragten, welche furchtbaren Erlebnisse dahinterstecken, dass ein Individuum mit einer derart abartigen Einstellung geschaffen wird, dann könnten sie ihn möglicherweise finden, und zwar ohne den Verlust von noch mehr Menschenleben.
Angewidert legte er das Handy zurück auf den Tisch. »Wir hätten den Seelenklempner selber finden müssen, es nicht aus einer verdammten Zeitung erfahren dürfen. Genauso, wie wir uns stärker um eine mögliche Verbindung zwischen den alten Selbstmorden und den neuen Morden hätten kümmern müssen. Das geht auf unsere Kappe.«
»Wenigstens weiß dieser Reporter nicht, dass die ›alten Selbstmorde‹
Sandoval nickte. Dann drückte er auf eine kleine Fernbedienung, die auf dem Tisch lag, und das große schwarze Rechteck am anderen Ende des Zimmers ging an. Coldmoon sah, dass es sich gar nicht um eine Wandtafel handelte, sondern um einen Monitor mit ultragroßer Auflösung. Der Bildschirm teilte sich in drei Fenster, die Kopf-Aufnahmen zeigten Baxter, Flayley und Adler.
»Ich finde es sonderbar«, sagte Pendergast, »dass zwar alle diese mutmaßlichen Selbstmörderinnen im Großraum Miami gewohnt haben, jedoch Hunderte Kilometer weit auseinander ermordet wurden. Wobei die jüngsten Brokenhearts-Morde alle in Miami Beach stattgefunden haben.«