Читаем На меже меж Голосом и Эхом. Сборник статей в честь Татьяны Владимировны Цивьян полностью

Dank der Synchronisierung seiner Bewegung mit derjenigen der Stadt gewinnt Benjamin nicht nur eine optische, sondern vor allem eine rhythmische, “taktische”, ja taktile Erfahrung. [188] Interessanter aber (im Blick auf die Erzählstrategie der Berliner Kindheit ) ist, dass sich Benjamin auf dem einmal eingeschlagenen Weg in der Lage eines Kindes wiederfindet, sucht er sich doch in das unbekannte Moskauer Alltagsleben einzureihen und sich dessen Praxis anzueignen. Und tatsächlich macht die fremde Stadt den Reisenden in gewisser Weise zu einem Kind und “traut” ihn den Dingen erst allmählich “an”. [189] Liest man Benjamins Moskau-Texte unter diesem Blickwinkel, dann eröffnet sich eine ganze Serie von Kindheits-Assoziationen. Dass es in der ersten Woche die “Technik, sich auf Glatteis zu bewegen”, neu anzueignen gilt [“Moskau”, 1, GS, IV.1, 317, vgl. Moskauer Tagebuch

, GS , VI, 298], davon ist im Essay noch ein zweites Mal die Rede: Benjamin findet sich auf dem Moskauer Glatteis buchstäblich in das “Kinderstadium” versetzt [“Moskau”, 2, GS
, IV.1, 318]. Und wenn Benjamin die Moskauer Schlittenfahrten schildert, werden auch hier Kindheits-Erinnerungen explizit:

Dicht am Bürgersteig lenkt der Iswoschtschik entlang. Der Fahrgast thront nicht, sieht nicht höher hinaus als alle anderen und streift mit seinem Ärmel die Passanten. Auch dies ist für den Tastsinn eine unvergleichliche Erfahrung. Wo Europäer in geschwinder Fahrt Überlegenheit, Herrschaft über die Menge genießen, ist der Moskowiter im kleinen Schlitten dicht unter Menschen und Dinge gemischt. […] Kein Blick von oben herab: ein zärtliches, geschwindes Streifen an Steinen, Menschen und Pferden entlang. Man fühlt sich wie ein Kind, das auf dem Stühlchen durch die Wohnung rutscht. [“Moskau”, 9, GS , IV.1, 331]

Nicht von ungefähr erinnern ihn die auf der Straße Handel treibenden Frauen an Großmütter, die sich für ihre Enkel ein Mitbringsel ausgedacht haben:

Alle fünfzig Schritt stehen Weiber mit Zigaretten, Weiber mit Obst, Weiber mit Zuckerwerk. Sie haben ihren Waschkorb mit der Ware neben sich, manchmal auch einen kleinen Schlitten. Ein buntes Tuch aus Wolle schützt Äpfel oder Apfelsinen vor der Kälte, zwei Musterexemplare liegen obenauf. Daneben Zuckerfiguren, Nüsse, Bonbons. Man denkt, eine Großmutter hat vor dem Weggehen im Hause Umschau gehalten nach allem, womit sie ihre Enkel überraschen könnte. Nun bleibt sie unterwegs, um sich ein bißchen auszuruhen, an der Straße stehen. [“Moskau”, 2, GS , IV.1, 317—318, vgl. Moskauer Tagebuch

, GS , VI, 299, 301]

Während das Thema Kindheit in der letzten Passage nur anklingt, präsentiert es sich in den ersten beiden Passagen explizit. Benjamin empfindet sich buchstäblich in das “Kinderstadium” versetzt. Und vielleicht ist es auch das vorweihnachtliche Moskau, mit den auf der Straße feilgebotenen Tannen, den Kerzen, dem Baumschmuck, welches Benjamin in seine kindliche Vergangenheit entrückt haben mag. [190] Man darf mit gutem Grunde annehmen, dass diese durch die MoskauErfahrung unwillkürlich aufgerufenen Kindheitsassoziationen potentiell jene Erzählstrategie bergen, welche Benjamin dann in seinem Erinnerungsbuch realisieren wird. Von der Verknüpfung der Themen Moskau und Berlin sprechen bereits die letzten Passagen des Moskauer Tagebuches , die Benjamin unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Moskau nachtrug. Laut Benjamin erlaubt die Moskau-Erfahrung einen neuen und überraschenden Blick auf Berlin:

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