Weil, junger Mann, zum Beispiel einmal in einem Buchladen eine sanfte grüne Lampe gebrannt hat. Sie bestrahlte, junger Mann, lauter Kriegsbücher, die man dort ausgestellt hatte; sie waren vom ersten Gehilfen fein um die sanft brennende Lampe herumdrapiert worden, und die Buchhandlung hatte für dieses ebenso geschmackvolle wie patriotische Schaufenster den ersten Preis bekommen[36]
. Deswegen.Weil, junger Mann, deine Eltern und deine Großeltern auch nicht den leisesten Versuch gemacht haben, aus diesem Kriegsdreck und aus dem Nationalwahn herauszukommen. Sie hatten sich damit begnügt – bitte, stirb noch nicht, ich möchte dir das noch schnell erklären, zu helfen ist dir ohnehin nicht mehr – sie hatten sich damit begnügt, bestenfalls einen allgemeinen, gemäßigten Protest gegen den Krieg loszulassen; niemals aber gegen den, den ihr sogenanntes Vaterland geführt hat, grade führt, führen würde. Man hatte sie auf der Schule und in der Kirche, und, was wichtiger war, in den Kinos, auf den Universitäten und durch die Presse national vergiftet. So vergiftet, wie du heute da liegst: hoffnungslos. Sie sahen nichts mehr. Sie glaubten ehrlich an diese stumpfsinnige Religion der Vaterländer, und sie wussten entweder gar nicht, wie ihr eignes Land aufrüstete: geheim oder offen, je nach den Umständen[37]
; oder aber sie wussten es, und dann fanden sie es sehr schön. Sehr schön fanden sie das. Deswegen, junger Mann.Was röchelst du da —? „Mutter?“ – Ah, nicht doch. Deine Mutter war erst Weib und dann Mutter, und weil sie Weib war, liebte sie den Krieger und den Staatsmörder und die Fahnen und die Musik und den schlanken, ranken Leutnant. Schrei nicht so laut; das ist so gewesen. Und weil sie ihn liebte, hasste sie alle die, die ihr die Freude an ihrer Freude verderben wollten. Und weil sie das liebte, und weil es keinen öffentlichen Erfolg ohne Frauen geben kann, so beeilten sich die liberalen Zeitungsleute, brave Familienväter, die viel zu feige waren, auch nur ihren Portier zu ohrfeigen, so beeilten sie sich, den Krieg zu lobpreisen, halb zu verteidigen, jenen den Mund und die Druckerschwärze zu verbieten[38]
, die den Krieg ein entehrendes Gemetzel nannten; und weil deine Mutter den Krieg liebte, von dem sie nur die Fahnen kann-te, so fand sich eine ganze Industrie, ihr gefällig zu sein, und viele Buchmacher waren auch dabei. Nein, nicht die von der Rennbahn; die von der Literatur. Und Verleger verlegten das. Und Buchhändler verkauften das.Und einer hatte eben diese sanft brennende Lampe aufgebaut, sein Schaufenster war so hübsch dekoriert; da standen die Bücher, die das Lob des Tötens verkündeten, die Hymne des Mordes, die Psalmen der Gasgranaten. Deshalb, junger Mann.
Ehe du die letzte Zuckung tust, junger Mann:
Man hat ja noch niemals versucht, den Krieg ernsthaft zu bekämpfen. Man hat ja noch niemals alle Schulen und alle Kirchen, alle Kinos und alle Zeitungen für die Propaganda des Krieges gesperrt. Man weiß also gar nicht, wie eine Generation aussähe, die in der reinen Luft eines gesunden und kampfesfreudigen, aber kriegablehnenden Pazifismus aufgewachsen ist. Das weiß man nicht. Man kennt nur staatlich verhetzte Jugend. Du bist ihre Frucht; du bist einer von ihnen – so, wie dein fliegender Mörder einer von ihnen gewesen ist.
Darf ich deinen Kopf weicher betten? Oh, du bist schon tot. Ruhe in Frieden. Es ist der einzige, den sie dir gelassen haben.
Die Bilderausstellung eines Humoristen
Wie es Sonntagsreiter gibt – so gibt es Sonntagsmaler. Deren Bilder hat der französische Schriftsteller Georges Courteline sein Leben lang gesammelt. Und diese Sammlung ist ausgestellt, bei Bernheim-Jeune in Paris in der Rue du Faubourg St. Honoré. Das ist die merkwürdigste Bilderausstellung, die ich seit langem zu sehen bekommen habe.
Courteline, ein Franzose mit Humor, ist Jahr um Jahr[39]
friedlich auf dem linken Ufer in die kleinen Antiquitätenläden gegangen, hat hier herumgestochert und hat da Zeit vertrödelt, hat Dilettanten besucht und malende Schutzleute, malende Gasarbeiter, malende Volksschullehrer – ja, sogar malende Zollbeamte. Denn er hat wirklich und wahrhaftig einige Rousseaus besessen, aber er hat sie zu früh verkauft, und weil er Humor sein eigen nannte, wird er wohl nicht geweint haben. Heute sind sie viel Geld wert. That is the humour of it[40]. Jedoch, was ihm geblieben ist, das ist schon heiter genug.Die ganze Menschengüte dieses seltenen Mannes spricht aus der Bemerkung, mit der er jetzt in den französischen Zeitungen dagegen protestiert, dass man seine Sammlung ein „Schreckenskabinett“ benenne – und das ist sie auch wirklich nicht. Er hat diese Bilder Namenloser lieb gehabt, und tatsächlich ist ja solche Pinselei nur durch einen haardünnen Strich von manchen großen Werken getrennt. Sehr schwer zu sagen, wo die blinde Naivität aufhört und die Kunst beginnt. Perlen hängen da an den Wänden bei Bernheim.