Ich ließ meine Hand zurücksinken, entblößte mein Handgelenk und drückte die Spitze des Messers auf die Mitte meines Unterarms. Ich hatte schon viele erfolglose Selbstmörder gesehen, die sich die Handgelenke quer aufschlitzten, die Wunden kleine Münder, die um Hilfe riefen. Und ich hatte solche gesehen, die es ernst meinten. Die richtige Methode war, die Venen der Länge nach aufzuschlitzen, tiefe, gezielte Schnitte, durch die mir das Blut in Minutenschnelle auslaufen würde, die mir in Sekundenschnelle die Bewusstlosigkeit versprachen.
Die Narbe an meiner Daumenwurzel war immer noch zu sehen. Ein blasses weißes »J«, das Zeichen, das er am Vorabend von Culloden auf mir zurückgelassen hatte, als wir zum ersten Mal mit der trostlosen Gewissheit von Tod und Trennung konfrontiert worden waren.
Ich zeichnete die schmale weiße Linie mit der Messerspitze nach und spürte das verführerische Flüstern des Metalls auf meiner Haut. Ich hatte damals mit ihm sterben wollen, und er hatte mich mit sicherer Hand davongeschickt. Ich trug sein Kind unter dem Herzen; ich konnte nicht sterben.
Ich trug sie zwar nicht länger unter dem Herzen – doch sie war noch da. Vielleicht für mich erreichbar. Ich saß reglos da, und es kam mir vor wie eine sehr lange Zeit. Dann seufzte ich und legte das Messer vorsichtig wieder auf den Tisch.
Vielleicht war es jahrelange Gewohnheit, eine Geisteshaltung, der das Leben um seiner selbst willen heilig war, oder eine argwöhnische Zurückhaltung vor dem Auslöschen einer Flamme, die ich nicht selbst entzündet hatte. Vielleicht war es ein Gefühl der Verpflichtung. Es gab Menschen, die mich brauchten – oder denen ich zumindest nützlich sein konnte. Vielleicht war es auch die Sturheit des Körpers, der darauf beharrt, dass alles ewig weitergeht.
Ich konnte mein Herz so weit verlangsamen, dass ich die Schläge zählen konnte … Konnte den Fluss meines Blutes verlangsamen, bis mir das Herz mit dem Ruf der Trommel in den Ohren widerhallte.
Es gab Pfade in der Dunkelheit. Das wusste ich; ich hatte schon viele Menschen sterben sehen. Allem körperlichen Verfall zum Trotz kam der Tod erst dann, wenn der Pfad gefunden war. Und ich konnte meinen – noch – nicht finden.
Kapitel 95
Betäubung
Die neue Arzttruhe stand auf dem Tisch in meinem Zimmer und glänzte schwach im Kerzenschein. Sie war umringt von den Gazebeuteln mit getrockneten Kräutern, die ich am Morgen gekauft hatte, und den Fläschchen mit den frischen Tinkturen, die ich am Nachmittag gekocht hatte – sehr zu Mrs Figgs Missvergnügen darüber, dass ihre unschuldige Küche so missbraucht wurde. Ihre Schlitzaugen hatten mich wissen lassen, dass sie mich als Rebellin durchschaut hatte und glaubte, dass ich eine Hexe war. Sie hatte sich in den Eingang der Küche zurückgezogen, während ich arbeitete, doch sie weigerte sich, ganz zu gehen, und wachte stattdessen wortlos und argwöhnisch über mich und meinen Kessel.
Eine große Karaffe Pflaumenschnaps leistete mir Gesellschaft. Im Verlauf der letzten Woche hatte ich festgestellt, dass mir ein abendliches Gläschen dabei half, im Schlaf Erlösung zu finden, zumindest für eine Weile. Heute Abend arbeitete ich nicht. Ich hörte, wie unten die Kaminuhr einmal schlug.
Ich bückte mich, um eine Schachtel mit getrockneter Kamille aufzuheben, die mir umgefallen war, und schob die verstreuten Blüten vorsichtig wieder in ihren Behälter. Ein Fläschchen mit Mohnsirup war ebenfalls umgestürzt. Es lag auf der Seite, und die aromatische Flüssigkeit quoll rings um den Korken heraus. Ich stellte es wieder hin, wischte mit meinem Tuch die goldenen Tröpfchen vom Hals und tupfte die kleine Pfütze vom Boden auf. Eine Wurzel, ein Stein, ein Blatt. Nacheinander hob ich sie auf, rückte sie zurecht, verstaute sie, die Werkzeuge meiner Berufung, die Bestandteile meines Schicksals.
Das kühle Glas schien mir weit entfernt zu sein, das glänzende Holz Illusion. Langsam und unstet schlagenden Herzens legte ich meine Hand flach auf die Truhe, um mich zu stützen, meine Peilung in Raum und Zeit zu finden. Es wurde mit jedem Tag schwieriger.
Mit plötzlicher, schmerzhafter Lebhaftigkeit erinnerte ich mich an einen Tag auf dem Rückzug aus Ticonderoga. Wir waren auf ein Dorf gestoßen, hatten vorübergehend in einer Scheune Zuflucht gefunden. Ich hatte den ganzen Tag gearbeitet, getan, was ich tun konnte, ohne Hilfsmittel, ohne Arznei, ohne Instrument, ohne Verbandszeug außer dem, was ich aus den durchgeschwitzten, schmutzigen Kleidern der Verwundeten herstellen konnte. Ich hatte das Gefühl gehabt, dass die Welt weiter und weiter zurückwich, während ich arbeitete, hatte meine Stimme gehört, als sei sie die einer anderen. Hatte die Körper unter meiner Hand gesehen, nichts als Körper. Gliedmaßen. Wunden. Hatte den Kontakt verloren.
Es wurde dunkel. Jemand kam, zog mich auf die Beine hoch und schickte mich aus der Scheune in das kleine Wirtshaus hinüber. Es war überfüllt, von Menschen überwältigt. Dann … Irgendjemand – Ian? – hatte gesagt, Jamie hätte draußen etwas zu essen für mich.