und Poincarés Besuch in Petersburg am 20. Juli 1914 verleiten die „Kriegspartei“ in Rußland, Ende Juli 14 gegenüber Deutschland hoch zu pokern. Frankreich nutzt die von ihm selbst bestärkte harte Haltung Rußlands und ergreift die Chance, die sich mit der deutschen Anfrage zur eigenen Neutralität ergibt. Es weigert sich, der deutschen Reichsregierung Frieden zuzusichern, macht weiterhin mobil und zwingt die Deutschen, sich entweder zur Abwehr Rußlands nach Frankreich hin von Truppen zu entblößen oder selber schnellstmöglich den Krieg mit Frankreich zu eröffnen. So heftet Frankreich Deutschland in einer wahren
„Meisterleistung“ die Schuld der Kriegseröffnung an.
England drängt nicht direkt zum Krieg, doch es glaubt, seine Weltmarktposition, sein Kolonialreich und die Seeherrschaft, die beides schützt, gegen den Machtzuwachs des Deutschen Reichs verteidigen zu müssen. Die britische Regierung treibt ein auf lange Zeit hin angelegtes Doppelspiel und nutzt die Chancen, die sich daraus ergeben. London vermittelt bei allen Krisen in Marokko und allen Balkanstreitigkeiten – so auch 1914 – und stärkt dabei Frankreich den Rücken gegenüber Deutschland. Zur Außenpolitik der Briten gehören auch die Zusage von 1911, Frankreich notfalls mit sechs Heeresdivisionen gegen Deutschland beizustehen und die Versicherung vom 2. August 1914, daß Englands Flotte auf der Seite Frankreichs kämpfen werde. Diese zwei geheimen Zusicherungen der Waffenbrüderschaft in einem eventuellen Krieg haben die gleiche
verhängnisvolle Wirkung wie Kaiser Wilhelms II. „Blankoscheck“ an
Österreich-Ungarn. Frankreich pokert hoch und riskiert den Krieg um Elsaß-
Lothringen.
Als Deutschland in der Klemme zwischen Rußland und Frankreich steckt und England um Neutralität und den Fortbestand des Friedens bittet, weigert sich die britische Regierung, beides zuzusagen. Sie weigert sich auch dann noch, als Deutschland dafür bietet, auf den Durchmarsch durch Belgien zu verzichten.
England wartet statt dessen, bis Deutschland den Versuch macht, der eigenen Gefahr durch einen Angriff auf Nordfrankreich mit Anmarsch durch das neutrale Belgien zu entkommen. Dann schnappt die Falle Englands zu. Großbritannien 54 Grenfell, Seite 84
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erklärt dem Deutschen Reich den Krieg, weil es die Neutralität der Belgier verletzt.
So steht England in einer völkerrechtlich einwandfreien Position da, auch wenn es bewußt auf indirekten Wegen die Konstellation für diesen Kriegsausbruch mit angelegt hat. Großbritannien nutzt die Kettenreaktion der sich überschlagenden Ereignisse im Juli 1914, um der deutschen Konkurrenz, dem „Made in Germany“ und dem Flottenbauprogramm im Deutschen Reich ein Ende zu bereiten.
Amerika steht 1914 noch auf Distanz zum Mächtespiel der Europäer. Die Regierung, der Kongreß und die Bevölkerung gedenken, ihr Land aus diesem Krieg in Übersee herauszuhalten. Doch schon zu Kriegsbeginn gibt es auch in den Staaten Persönlichkeiten von nicht geringem Einfluß, die das anders sehen, zum Beispiel Mahan und Roosevelt. Admiral Mahan beeinflußt seit etwa 20 Jahren das strategische Denken vieler politisch Interessierter in den USA55, und Franklin D.
Roosevelt, der sein Land später in und durch den Zweiten Weltkrieg führt, ist zu der Zeit stellvertretender Marineminister. Mahan schreibt Roosevelt zwei Wochen nach dem Kriegsausbruch am 13. August:
Die Bombe, die erst drei Jahre später gegen Deutschland losgeht, tickt also schon in einigen Köpfen.