Da Großbritannien die Rohstoff- und Nahrungsmittelversorgung Deutschlands über See mit einer Fernblockade seiner Flotte unterbindet, versucht auch Deutschland, England von seinem Nachschub über den Atlantik abzuschneiden.
Doch das mißlingt zunächst. Zu viele britische Handelsschiffe holen – bevor sie in die umkämpften Seegebiete rund um England kommen, den Union Jack vom Mast und laufen unter amerikanischer Flagge unbehelligt in ihre Häfen weiter60.
So setzt die Oberste Deutsche Heeresleitung ihre letzte Hoffnung, England auszuschalten und den Krieg doch noch siegreich zu beenden, auf einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg gegen alle Zufuhr Englands über See. Dieser U-Boot-Krieg bringt England zwar in eine Krise, doch er führt zur gleichen Zeit zur Kollision mit den USA. Die Vereinigten Staaten von Amerika, obwohl offiziell neutral, stellen einen großen Teil der Transportflotte und der Einfuhrgüter für die englische Versorgung. So werden auch die „neutralen“ USA und ihre Schiffe Opfer der deutschen Seekriegsführung gegen England.
Das Verhältnis der USA zu Deutschland bekommt zu der Zeit einen weiteren Dämpfer. Als Rußland 1917 als besiegtes Land aus dem Krieg ausscheidet, ist die Möglichkeit eines Sieges der Mittelmächte Deutschland, Österreich-Ungarn und Türkei nicht mehr ganz ausgeschlossen. Dies hätte Konsequenzen für die USA gehabt. England und Frankreich haben ihre Kriegskosten nach Verbrauch der eigenen Staatsfinanzen komplett durch amerikanische Banken finanzieren lassen.
Bei einem Sieg Deutschlands und Österreich-Ungarns wäre die Kriegsfinanzie-rung Englands und Frankreichs zum verlorenen Kredit geworden und zu Lasten der Volkswirtschaft der USA gegangen. Die Aussicht, auf diese Weise zum finanziellen Verlierer eines fremden Kriegs zu werden, der uneingeschränkte U-Boot-Krieg der Deutschen und ein unvorsichtiger Versuch der Reichsregierung, Mexiko, das schon im Kriege mit den USA liegt, Unterstützung anzubie-59 Nitti, Seite 67 und Franz.-Russischer Vertrag vom 11.3.1917
60 Gaffney, Seite 174
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ten61, bringen die amerikanische Regierung dazu, auf der Seite Großbritanniens und Frankreichs auch offiziell am Kriege teilzunehmen. Am 6. April 1917
erklärt Amerika dem Deutschen Reich den Krieg. Die Kriegserklärung an Österreich-Ungarn folgt ein paar Tage später.
Deutschlands und Österreich-Ungarns Kräfte schwinden. Die der Gegner nehmen von nun an durch den Zustrom frischer amerikanischer Truppen ständig zu.
Bis zum Oktober 1918 sind es 30 US-Divisionen62, die nach Europa kommen und hier den Krieg entscheiden. Deutschland, Österreich-Ungarn und die Türkei auf ihrer Seite haben keine Chance mehr, das Blatt zu wenden. Anfang 1918, als die deutschen Truppen noch unbesiegt in Frankreich kämpfen, schlägt der Präsident der USA Woodrow Wilson einen Friedensschluß zu harten, aber dennoch akzeptablen Bedingungen vor, die sogenannten „14 Wilson-Punkte“.
Die US-Regierung hat die Briten und Franzosen zwar zu diesem
Friedensvorschlag konsultiert, doch sie nicht darauf festgelegt. So fühlen sich die Regierungen in London und Paris später nicht an Präsident Wilsons Bedingungen gebunden.
Die Hypothek der Propaganda
Die Friedensverhandlungen, die nun folgen werden, stehen neben der jeweils subjektiven Sicht der Sieger zum Grund und Anlaß dieses Krieges noch unter einer weiteren Hypothek. Die Regierungen und die Medien in England, Frankreich und den USA hatten eine Öffentlichkeitsarbeit betrieben, um ihre Wähler und Soldaten vom Sinn des Kriegs zu überzeugen, und um sie – als der Krieg hart wird – zu bewegen durchzuhalten. Die Argumente, mit denen die Massen in Frankreich, Großbritannien und Amerika „erfahren“, daß sie für Recht und Gutes gegen Unrecht und böse Menschen stehen, sind recht unterschiedlicher Natur. Die „Aufklärung“ dieser Art beginnt in England, wo die Londoner TIMES
gut drei Wochen nach dem Kriegsausbruch in ihrer Ausgabe vom 27. August berichtet:
Am 2. September kommt die TIMES ein zweites Mal mit einer solchen Nachricht:
61 Binder, Seite 96
62 Binder, Seite 100
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Abb. 1: Propagandabild gegen deutsche Soldaten
Seitdem blüht die Propaganda von dem „blutrünstigen Hunnen“ in den drei genannten Ländern. Nippfiguren mit Kindern, die abgehackte Arme von sich strecken, Postkarten mit deutschen Soldaten, die Bajonette in Babyleiber stoßen, Berichte über Vergewaltigung von Nonnen und dergleichen bringen Briten, Franzosen und US-Amerikaner in Wallung gegen die deutschen „Hunnen“ und