Ein dritter und genauso folgenschwerer Haken in der Antwort aus London ist die Reihenfolge der Voraussetzungen, die nun gelten sollen. Hitler hat einen Freundschaftspakt geboten, wenn England bei der Danzig-Sache hilft. Die britische Regierung antwortet: wenn Deutschland und Polen den Danzig-Streit auf dem Verhandlungsweg gelöst haben, ist England bereit, einen Freundschaftspakt zu schließen. Hitlers Voraussetzung für Deutschlands Einigung mit Polen ist der Freundschaftspakt mit England. Chamberlains Voraussetzung für den Freundschaftspakt mit England ist Deutschlands Einigung mit Polen. Die Briten zeigen Hitler also nach wie vor die verschlossene Tür in Warschau und sagen „Geh hindurch“. Hitlers Rechnung oder Hoffnung geht also auch in diesem Punkt nicht auf. Dennoch ist ihm sein Fernziel eines Ausgleichs und eines Freundschaftspakts mit Großbritannien nun wichtiger als das Nahziel Danzig. Er geht auf Chamberlains schwierige Konditionen ein.
Hitler antwortet mit einer Note, in der er als erstes die Bedingungen aus London akzeptiert.328 Dann wiederholt er noch einmal die Klage gegen die Drangsalierung der Volksdeutschen in Polen und erklärt, daß dieser Zustand nicht weitere Wochen oder auch nur Tage hingenommen werden kann. Hitler fordert in diesem Schreiben die Revision des Versailler Vertrages, soweit er Danzig und den Korridor betrifft und sichert den Fortbestand des Staates Polen unter der Fünf-Mächte-Garantie ansonsten zu. Soweit folgt Hitler den Vorgaben der britischen Regierung. Erst zum Schluß des Briefes baut er eine Hürde auf, über die nun die Briten und die Polen gehen müssen. Er beendet seinen Brief mit der Erwartung, daß die deutsch-polnischen Verhandlungen nun wirklich binnen 29
Stunden aufgenommen werden:
Das heißt: Verhandlungsbeginn spätestens am Tag danach um 24 Uhr, ohne ein weiteres englisch-polnisches Spiel auf Zeit. Hitler schwankt jetzt offensichtlich zwischen der Hoffnung auf die Vermittlungskünste der Londoner Regierung und der Erwartung, daß die Warschauer Regierung sich nicht bewegen wird.
Der deutsche Kanzler steht in vieler Hinsicht mit dem Rücken an der Wand. Er will so schnell wie möglich von den Briten Taten sehen oder herausfinden, ob er hingehalten wird. Er kann die Mobilmachung und den Aufmarsch der Wehrmacht nicht mehr lange in der Schwebe halten. Entweder müssen die Streitkräfte in absehbarer Zeit zurückgezogen werden oder spätestens am 2. September in Polen einmarschieren. Außerdem will Hitler sich von der polnischen und der 328 AA 1939 Nr. 2, Dokument 464 und ADAP, Serie D, Band VII, Dokument 421
329 AA 1939 Nr. 2, Dokument 464 und ADAP, Serie D, Band VII, Dokument 421
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französischen Presse nicht wieder „weiche Knie“ wie vor drei Wochen attestie-ren lassen. So muß er den Haltbefehl für die aufmarschierte Wehrmacht bald mit einem Verhandlungserfolg aufwiegen. Und in dieser Situation wohl ganz entscheidend: er kann die drangsalierte deutsche Minderheit in Polen nicht lange weiter ohne Hilfe lassen.
Um 19 Uhr übergibt Hitler seine Antwort an Botschafter Henderson, der sie sofort lesend überfliegt. Henderson ist zunächst erleichtert festzustellen, daß Hitler alle englischen Bedingungen akzeptiert. Die Erleichterung wechselt zur Bestürzung, als er den Schluß des Briefes liest. Henderson macht aus dem Entsetzen über die so kurz gesteckte Frist nicht den geringsten Hehl:330
„
Henderson beharrt auf seiner Ansicht: