macht, die gerade erst am Anfang ihres Wiederaufbaus steht, den französischen Streitkräften an Stärke, Bewaffnung und Reserven um ein mehrfaches
unterlegen ist. Hitler sagt gegen allen Rat voraus, daß Frankreich auf einen Einmarsch deutscher Truppen in das Rheinland trotz aller der genannten Gründe nicht militärisch reagieren werde.
Karte 5: Der Einmarsch der Wehrmacht in das Rheinland
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Am 7. März 1936 läßt Hitler 19 Wehrmachtsbataillone in die entmilitarisierte Zone einmarschieren15. Um der politischen Provokation nicht noch eine militärische Drohgebärde hinzuzufügen, überschreiten zunächst nur drei der 19
Bataillone den Rhein nach Westen und rücken in Saarbrücken, Trier und Aachen ein16. Hitler verletzt mit diesem Handeln die Verträge von Locarno und Versailles. Doch er schafft damit auch die Voraussetzung für die Verteidigungsfähigkeit des Deutschen Reichs nach Westen. Hitler begleitet diesen Schritt mit einem neuen Angebot an Frankreich. Er regt an, – wenn Frankreich dem so zustimmt – in Zukunft eine entmilitarisierte Zone auf beiden Seiten der deutsch-französischen Grenze einzurichten, die deutschen und die französischen Streitkräfte bei gemeinsamen Höchstzahlen zu begrenzen und einen Nichtangriffspakt von 25 Jahren Dauer abzuschließen.
Die Reaktionen Frankreichs und der anderen ehemaligen Siegerstaaten geben Hitler Recht. Die französische Regierung läßt zwar den Alarmzustand für die Armee erklären, die Maginotlinie besetzen und nordafrikanische Divisionen von Südfrankreich zur deutschen Grenze vorverlegen. Ansonsten versucht sie nur, die Locarno-Garantiemächte und den Völkerbund gegen Deutschland aufzubringen. Doch außer Polen, Tschechen, Rumänen und Jugoslawen sagt den Franzosen niemand Hilfe zu. Die britische Regierung lehnt es trotz der Bitte der Franzosen ab, mobil zu machen. London will den erst vor neun Monaten abge-schlossenen Flottenvertrag mit Deutschland nicht aufs Spiel setzen und keinen neuen Krieg riskieren, um eine für Frankreich vorteilhafte Bestimmung des Versailler Vertrages durchzusetzen. London bietet nur seine Vermittlungsdienste an. Die übrigen Locarno-Garantiemächte Belgien und Italien schließen sich der Haltung Englands an.
Am 14. März 1936 tritt der Rat des Völkerbunds zusammen, um über den deutschen Bruch des Versailler Vertrages zu befinden. Der Vertreter Frankreichs fordert, Deutschland der Vertragsverletzung anzuklagen und zu verurteilen. Der britische Vertreter erklärt für „seiner Majestät Regierung“:
Nach sieben Tagen der Beratung erklärt der Völkerbund, daß Deutschland den Artikel 43 des Versailler Friedensvertrags verletzt hat. Doch er verlangt weder 15 Benoist-Méchin, Band 3, Seite 294
16 MGFA Dt. Reich und 2. Weltkrieg, Band 1, Seite 425
17 Benoist-Méchin, Band 3, Seite 300
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den Rückzug der ins Rheinland einmarschierten deutschen Truppen noch Sanktionen.
Die Konsequenzen dieses Hitler-Handstreichs sind allerdings auf eine andere Weise folgenschwer. Adolf Hitler hat mit seinem Rheinland-Schachzug gegen allen Rat der Diplomaten und Generale Recht behalten. Das trübt sein Vertrauen in die Urteilsfähigkeit der berufenen Berater und hebt sein eigenes Selbstvertrauen, das sich später nach weiteren Erfolgen übersteigert. Er beginnt auch, die Tatkraft ausländischer Regierungen zu unterschätzen. Bei den deutschen Generalen ist die Wirkung genau umgekehrt. Ihr Vertrauen in die eigene Urteilsfähigkeit wird brüchig und sie beginnen, Hitler in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik zu viel Kredit zu geben.
Der Anschluß Österreichs
Die bessere Überschrift wäre sicher die „Wiedervereinigung“ mit Österreich gewesen, doch dieser Vorgang ist nun einmal mit dem Wort „Anschluß“ in die Geschichte eingegangen. Die vergeblichen Versuche der Parlamente und der Regierungen des Deutschen Reichs und der Republik Österreich von 1919, beide Länder nach fast einem Jahrtausend gemeinsamer Geschichte und 54 Jahren Trennung wieder zu einem Staate zu vereinigen, haben weniger Spuren in der Geschichtsschreibung hinterlassen, als der von beiden Ländern 1938 mit Erfolg vollzogenen Anschluß.
Die Vorgeschichte