Am 24. Oktober 1936 läßt der „Duce“ Mussolini seinen Außenminister Graf Ciano beim „Führer“ Hitler und dessen Außenminister von Neurath eruieren, wieweit die Interessen beider Staaten zueinander passen. Am 1. November er-fährt man das Ergebnis. Mussolini schwenkt offiziell aus dem Lager der Erste-Weltkrieg-Sieger in das Lager des ehemaligen Weltkrieg-Gegners Deutschland.
Der „Duce“ hält an diesem Tag in Mailand eine öffentliche Rede und verkündet dabei die „Achse Rom-Berlin“. Er lädt alle anderen Staaten ein, in dieser Achse mitzuwirken. Damit sind die zwei bis dahin isolierten Staaten Italien und Deutschland für die kommenden acht Jahre ein Gespann mit Vor- und Nachtei-len für beide „Achsenmächte“.
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Im März 1938, als Österreichs Bundeskanzler Schuschnigg den Versuch macht, sich für sein Referendum gegen den „Anschluß“ die Rückendeckung Mussolinis einzuholen, zeigt der ihm nur die kalte Schulter. Italien akzeptiert nun den Anschluß an das Deutsche Reich, den es jahrelang versucht hat, mit Frankreichs Hilfe zu verhindern. Deutschlands Kohlehilfe während des Völkerbundembargos und die deutsche Anerkennung des italienischen Kaiserreichs Abessinien tragen ihre Früchte. Die Vereinigung der beiden deutschsprachigen Staaten Deutsches Reich und Österreich hat, wenn man den Anteil Italiens daran betrachtet, ihren langen Anlauf in Wal-Wal genommen.
Der nächste Anschluß, bei dem Mussolini Pate steht, ist der der Sudetenlande an das Deutsche Reich. Doch ehe der Anschluß der Sudetenlande und die Unterwerfung der Tschechei zum Thema werden, muß noch ein Blick auf eine Macht im Hintergrund geworfen werden: die USA, die bislang scheinbar an den Veränderungen in Europa nicht beteiligt sind.
Amerika im Hintergrund
Ein nicht unwichtiger Mitspieler bei den Veränderungen in Europa seit 1933 ist der amerikanische Präsident Franklin Delano Roosevelt, auch wenn er noch die Fäden aus dem Hintergrunde zieht.
1915 war Roosevelt mit 33 Jahren Unterstaatssekretär im US-Marineministerium. Schon damals, zwei Jahre vor der Kriegserklärung Amerikas an Deutschland, drängt der junge Roosevelt US-Präsident Wilson, gegen Deutschland Krieg zu führen. Da erteilt ihm Wilson eine Lehre:
Nach dem ersten Weltkrieg geht Roosevelt nicht von seiner Überzeugung ab, daß der Kaiser und die Deutschen allein die Schuld an diesem großen Kriege tragen.
Seit 1921 sind die Vereinigten Staaten von Nordamerika neutral. Doch obwohl die drei Präsidenten nach dem Ersten Weltkrieg die USA von allen Kriegen Asiens und Europas ferngehalten haben, greift in den Staaten seit geraumer Zeit ein neues Denken Platz. Neben einem weit verbreiteten Isolationismus gewinnt ein neuer Interventionismus langsam aber sicher an Boden. Dieser gründet auf der Überzeugung, daß die Demokratie sowie die Rechte und die Freiheiten des Indi-53 Bavendamm, Roosevelts Krieg, Seite 49
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viduums Werte von allgemeiner Geltung sind, die stärker wiegen als das souveräne Recht der Staaten, nach innen und nach außen das eigene Wesen und das Leben ihrer Bürger zu bestimmen. Dieser Überzeugung hängt auch Roosevelt an, der sich darum berufen fühlt, die Wertvorstellungen Amerikas in die Welt zu exportieren, notfalls auch mit Kriegen. Jener liberal-demokratische Internationalis-mus vieler Amerikaner findet im zeitgleichen marxistisch-leninistischen Interna-tionalismus insofern eine Parallele, als beide überzeugt sind, das Wohl der Menschen zu vertreten, und beiden eine verborgene Kriegsbereitschaft innewohnt.
Von Bedeutung ist auch Roosevelts Verhältnis zu den Deutschen seit dem Ersten Weltkrieg. Die USA haben die globale Nachkriegsordnung in den Konferenzen von Versailles, Trianon und Saint-Germain entscheidend mitgeprägt. Doch ihr damals eingebrachter Anspruch auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker, auf die Durchsetzung der Demokratie in fremden Staaten, auf die Freiheit der Meere im Frieden und im Kriege und auf einen dauerhaften Frieden hat sich weder in den Siegerkonferenzen noch in der Nachkriegszeit ganz durchgesetzt. So versucht Roosevelt seit seinem Amtsantritt als Präsident 1933 diesen Traum der Amerikaner nun doch noch zu verwirklichen.