Ein weiterer Schachzug Roosevelts ist hier der Erwähnung wert, sein „Weltfriedensplan“62, mit dem er den Versuch macht, ein Bündnis der „Weltgemeinschaft“ für den Frieden aufzubieten. Der Präsident eröffnet seinen Plan zunächst nur dem englischen Premierminister Chamberlain, dem er dazu am 12. Januar 1938
einen streng geheimen Brief schreibt. Dieses Datum liegt noch vor der Zeit, in der Hitler den Anschluß Österreichs und der Sudetendeutschen fordert.
Roosevelt verfolgt mit dem Weltfriedensplan offensichtlich zwei ganz verschiedene Zwecke. Er will die USA als erste Macht der Erde etablieren und sein Plan soll Italien und Deutschland zähmen. Die Sache scheitert, weil der englische Premierminister Chamberlain Roosevelt durchschaut und die Gefahr für England wittert, die der Plan enthält. Der amerikanische Präsident schlägt dem englischen Premier an jenem 12. Januar in dem geheimen Brief ein eigen-artiges Verfahren für seine Absicht vor. Er will parallel zehn ausgewählte kleine Staaten zu einer Konferenz unter seiner Leitung nach Washington einladen und zeitgleich in getrennten Verhandlungen nacheinander mit England, Frankreich, Italien und Deutschland über seine neue Weltfriedens- und Wirtschaftsordnung sprechen. Das Ergebnis der Konferenzen soll dann allen anderen Staaten dieser Erde übersandt und zur Unterschrift empfohlen werde.
59 Dupuy and Dupuy, Seite 1124
60 Bavendamm, Roosevelts Krieg, Seite 149
61 Bavendamm, Roosevelts Krieg, Seite 342
62 Bavendamm, Roosevelts Weg zum Krieg, Seiten 285 ff
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Mit dieser komplizierten Art Regie hätte Roosevelt die absolute Dominanz gehabt. Die zehn Kleinen hätten neben der Weltmacht USA so gut wie kein Gewicht besessen und die vier Großen keine Chance, während der getrennten Gespräche eine Allianz zu eigenen Gunsten einzugehen und eigene Interessen zu wahren. Doch das ist nicht der einzige Punkt, den Chamberlain nicht akzeptieren will. Da gibt es noch vier weitere. Der erste ist, daß auf den Konferenzen auch über einen freien Zugang aller Staaten zu allen Handelszonen und Rohstoffquel-len auf der Erde verhandelt werden soll. Hier hätte England in seinen Kolonien Konzessionen machen müssen. Das zweite ist, daß Roosevelt sich schon in seinem Schreiben die „Freiheit von politischen Verwicklungen“ vorbehält. Das kann nur heißen, daß sich die USA im Notfall selbst nicht an ihre neue Weltfriedensund Wirtschaftsordnung halten müßten. Der dritte ist, daß Roosevelt zum Ausdruck bringt, daß er „von ganzem Herzen kommende Unterstützung“ jedoch keine Ergänzungsvorschläge wünscht. Und der vierte Punkt, der stört, ist der Termin. Roosevelt verlangt Antwort in nur fünf Tagen.
Chamberlain lehnt diesen „Weltfriedensplan“ mit Brief vom 13. Januar ab.
Der Roosevelt-Weltfriedensplan – obwohl gescheitert – ist der Anlauf, die USA vom Platz des Ersten Geigers auf das Dirigentenpult zu bringen. Der Anspruch des Präsidenten, eine neue Weltfriedens- und Weltwirtschaftsordnung quasi im Alleingang zu gestalten, läßt diesen Rückschluß zu. Der Plan ist zweitens der Versuch, den USA die kolonialen Märkte und Ressourcen anderer Staaten zu erschließen. Der Weg, den Plan vorab nur mit den Briten zu erörtern, zeigt das Bemühen, England vom wirtschaftlichen und seestrategischen Konkurrenten zum angeleinten Verbündeten zu machen. Und drittens liegt der Plan im Zug der Quarantäne-Politik. Roosevelt hätte mit den Beschlüssen von zehn kleinen Staaten und mit der Zustimmung der Briten und Franzosen die Deutschen und die Italiener zwingen können, die Regeln Amerikas zu akzeptieren oder sich, für jeden sichtbar, außerhalb der „Staatengemeinschaft“ zu stellen.
So hat Roosevelt einen Führungsanspruch außerhalb des eigenen Landes ange-meldet, obwohl der Kongreß daheim auch weiterhin auf der Neutralität der USA besteht. Er hat zudem die neue britisch-amerikanische Waffenbrüderschaft für einen nächsten Krieg schon arrangiert, noch ehe Hitler Österreichs Anschluß fordert. Und er gibt die beiden informellen Schutzversprechen an Kanada und England ausgerechnet zu der Zeit, in der die deutsche Reichsregierung mit England, Frankreich und Italien um die deutsche Zugehörigkeit und Zukunft der sudetendeutschen Bürger in der Tschechoslowakei ringt.
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Der Anschluß der Sudetengebiete
und die Unterwerfung der Tschechei
Der nächste Erfolg des Politikers Hitler, deutsche Menschen und deutsche Land-schaften „heim ins Reich“ zu holen, trägt in sich schon den Keim des späteren Untergangs des Dritten Reichs. Im September 1938 gelingt es Hitler auf der