Hitler verlangt mit seiner Februar-Rede vor dem Reichstag noch keinen Anschluß. Er gießt kein Öl ins Feuer. Er fordert nur das Selbstbestimmungsrecht der Auslandsdeutschen und bezieht sich dabei sehr geschickt auf US-Präsident Wilsons früheres Versprechen.
Daß Hitler sich vor Außenminister von Neurath und den höchsten Generalen und Admiralen der Wehrmacht schon ein Vierteljahr zuvor, am 5. November 1937, zu einem späteren Krieg gegen die Tschechoslowakei geäußert hat, ist der Öffentlichkeit bis dato nicht bekannt82. In dieser Geheimrede im vergangenen Novem-81 Domarus, Band 1, Seiten 801 f
82 Die von Oberst Hoßbach protokollierte Hitler-Rede, siehe Domarus Band 1, Seiten 748ff 141
ber hatte Hitler den Generalen offenbart, daß er die Tschechei im Falle späterer kriegerischer Auseinandersetzungen mit England oder Frankreich für eine Gefahr in Deutschlands Rücken hält, und daß er plant, sie bei passender Gelegenheit zu annektieren. Vorbereitungen für eine solche Tschechei-Eroberung werden am 5. November 1937 allerdings noch nicht erwähnt, geschweige denn befohlen. Von dieser geheimen Hitler-Rede hat und wird Henlein auch später nichts erfahren. Er weiß seit jener öffentlichen Reichstagsrede Hitlers vom 20.
Februar 1938 nur, daß er in Zukunft mit der Unterstützung der deutschen Reichsregierung rechnen kann.
Am 12. März 1938 wird Österreich an Deutschland angeschlossen. Doch selbst nach dem Anschluß Österreichs, dem sich die Sudetendeutschen noch immer zugehörig fühlen, fordern sie zunächst öffentlich nicht mehr als ihre Selbstverwaltung innerhalb der Tschechoslowakei. Mehr zu fordern, wäre Hochverrat gewesen. Der Anschluß Österreichs an Deutschland bringt dennoch das Thema
„Tschechoslowakei“ in London, Paris und Moskau auf die Tagesordnung. Hier argwöhnt man – zu Recht -, daß Hitler der Sudetendeutschen wegen und um sich der Tschechen im eigenen Rücken zu entledigen, als nächstes die Tschechoslowakei erobern könnte. Vom Anschluß Österreichs an wird Deutschland deshalb unterstellt, es wolle der Tschechoslowakei zu Leibe rücken. So laufen von nun an Gespräche zwischen Prag, London, Moskau und Paris, wie man sich dem im Falle, daß es so kommen sollte, entgegenstellen kann.
Zwei Wochen nach dem Anschluß Österreichs kommt es am 28. März 1938 zum ersten offiziellen Treffen des Führers der Sudetendeutschen Henlein mit dem
„Führer“ Adolf Hitler. Eine Angliederung der Sudetengebiete an das Deutsche Reich wird auch hier noch nicht besprochen83. Doch Hitler weiß inzwischen, daß die Sudetendeutschen an die soeben zum „Großdeutschen Reich“ vereinigten Deutschland und Österreich angeschlossen werden wollen. Er ist sich jedoch nicht sicher, wie Frankreich, die Sowjetunion und England auf eine solche Angliederung reagieren würden. So wagt er es noch nicht, von sich aus diesen Anschluß öffentlich zu fordern oder ihn gar zu vollziehen. Hitler und von Ribbentrop raten Henlein aber, maximale Forderungen an die Regierung der Tschechoslowakei zu stellen, deren Ziel „die volle Freiheit der Sudetendeutschen“ sei.
Ansonsten vertröstet Hitler Henlein:
Hitler spielt seit der erwähnten Generalsbesprechung im November 37 insgeheim ein Doppelspiel. Während er sich gegenüber Henlein weiterhin bedeckt hält, ändert er im Dezember 1937 die Weisungslage innerhalb der Wehrmacht. Er ordnet erstmals an, Pläne für eine spätere Eroberung der Tschechoslowakei „und damit 83 ADAP, Serie D, Band II, Dokument 107
84 ADAP, Serie D, Band II, Dokument 107
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