die Lösung des deutschen Raumproblems“ zu erarbeiten85. Bislang ist ein Krieg mit der Tschechoslowakei von der Wehrmacht nur im Zusammenhang mit möglichen Kriegsabsichten der Franzosen betrachtet und vorbereitet worden. Die Tschechoslowakei ist in einem solchen Szenario bisher stets der zweite Feind in einem von deutscher Seite befürchteten Zweifrontenkrieg gewesen. Mit Hitlers neuer Weisung vom 21. Dezember 193786 wird die Tschechoslowakei zum eigenen Kriegs- und Eroberungsziel. Jetzt geht es auch nicht mehr alleine um die
„Heimkehr“ der Sudetendeutschen. Nun steht die Tschechoslowakei als Erweiterung des deutschen Lebensraums und als militärisch dauerhaftes Risiko für Deutschlands Sicherheit auf Hitlers Tagesordnung. Die neue Weisung läßt den Zeitpunkt für einen deutschen Angriff offen. Ein Passus dazu lautet:
Grün ist fortan der Tarnname der Wehrmacht für die Tschechoslowakei. Hitler läßt intern die Eroberung der Tschechoslowakei vorbereiten und verlangt nach außen und öffentlich nicht mehr, als daß die Staatsführung in Prag „die Sudetendeutschen anständig behandelt“. Am 21. April 1938 gibt Hitler Generaloberst Keitel, dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, den Auftrag, sich mit der Tschechoslowakei zu befassen. Er soll – so Hitler – die Möglichkeit eines Angriffs der Wehrmacht gegen die Tschechoslowakei untersuchen lassen88. Das Protokoll des Gesprächs trägt die Überschrift
„
Hitler läßt auch bei diesem ersten Gespräch den Zeitpunkt für ein solches Unternehmen völlig offen. Er sagt zu Keitel, „daß er einstweilen nicht die Absicht zu einem Angriff habe“, und daß er gedenke, einen tschechischen Zwischenfall als Anlaß für sein Handeln abzuwarten89. Das Protokoll zu dieser Besprechung zwischen Hitler und Keitel beginnt mit dem Satz:
Als Begründung für die nun geforderten Vorbereitungen auf eine kriegerische Auseinandersetzung mit der Tschechoslowakei nennt Hitler gegenüber Keitel zwei verschiedene Gründe. Der erstgenannte ist die Sorge um das weitere Schicksal der Sudetendeutschen. Der zweitgenannte betrifft die strategische Bedeutung der Tschechoslowakei für Deutschland. Hitler spricht dabei von der
86 ADAP, Serie D, Band VII, Seite 547 (Anlage 1 zur entsprechenden Weisung vom 7. Dezember 1937) 87 ADAP, Serie D, Band VII, Seite 547 (Anlage 1 zur entsprechenden Weisung vom 7. Dezember 1937) 88 Domarus, Band 1, Seiten 851 f und Keitel, Seite 222
89 IMT, Band X, Seite 569
90 ADAP, Serie D, Band II, Dokument 133
143
Hiermit gibt Hitler ein weiteres Mal nach seiner bereits erwähnten, von Oberst Hoßbach protokollierten Rede zu verstehen, daß er die Tschechei nicht nur wegen der Sudetendeutschen für ein Problem für Deutschland hält. Er sieht das Nachbarland im Osten vor allem als Bundesgenossen der Staaten, die ideologisch oder machtpolitisch auf Gegenkurs zu Deutschland stehen. Und er sieht in der Tschechei „neuen Lebensraum im Osten“.
Abb. 4: Konrad Henlein auf dem Weg zu einer Kundgebung der Sudetendeutschen Partei am 6. Mai 1938 in Asch
Henlein ahnt von alledem noch nichts. Er kämpft nach wie vor um die volle Autonomie der Sudetendeutschen innerhalb der Tschechoslowakei.
Henlein nutzt den nächsten Parteitag der SdP in Karlsbad, um einen acht Punkte umfassenden Forderungskatalog an die Prager Regierung zu verkünden. In diesem „Karlsbader Programm“ vom 24. April 1938, von dem Henlein gleich sagt, es seien Mindestforderungen, verlangt er
91 Keitel, Seite 222
144
1. die volle Gleichberechtigung der deutschen Volksgruppe mit dem tschechischen Volk,
2. die Anerkennung der deutschen Volksgruppe als Rechtsperson,