ciman nach Prag entsendet, um dort den Stand der sudetisch-tschechischen Differenzen zu ermitteln und, wenn nötig, zu vermitteln. Runcimans Verhandlungen bewegen „außer oberflächlichen Freundlichkeiten auf beiden Seiten“ nichts im Sinne der Sudetendeutschen100. Lord Runciman erfährt sehr schnell, daß ein Ausgleich zwischen Tschechen und Sudetendeutschen nicht mehr möglich ist. Bis Ende August ist es vor allem Präsident Beneš, der mauert und den deutschen Bürgern seines Staates nicht entgegenkommen will. Als Beneš dann doch noch einlenkt, sind es die Vertreter der Sudetendeutschen, die inzwischen den Anschluß an Deutschland wollen und kein Interesse mehr an den Zugeständnissen der Tschechen zeigen. Das ist für Runciman der Zeitpunkt, seine Reise abzubrechen.
Er sieht, daß es keine Hoffnung mehr auf eine Verständigung zwischen Tschechen und Sudetendeutschen gibt. Runcimans Bericht vom 21. September 1938
fällt vernichtend für die Tschechen aus. Er gibt Henlein zwar die Alleinschuld für den letzten Abbruch der Gespräche. Doch er schreibt auch:
„...
Er führt fort, man habe tschechische Beamte und Polizisten ohne Deutschkennt-nisse in rein deutschen Bezirken eingesetzt, Tschechen in deutschen Gebieten angesiedelt, tschechische Firmen bei der Vergabe von Staatsaufträgen bevorzugt, soziale Hilfen auf die Tschechen konzentriert und so weiter und so fort.
„
Runciman schließt mit der Empfehlung, die Grenzbezirke mit überwiegend deutscher Bevölkerung unverzüglich von der Tschechoslowakei zu trennen und an Deutschland anzugliedern. Für weitere Gebiete, in denen die Sudeten nicht die große Mehrheit bilden, schlägt er Volksabstimmungen vor und einen autonomen Status innerhalb der verbleibenden Tschechoslowakei.102
Neben der Sudetenfrage erschüttern die Differenzen zwischen Tschechen und Slowaken die nach beiden Völkern benannte Tschechoslowakei. Die Slowaken erinnern an den Vertrag von Pittsburgh aus dem Jahre 1918, in dem Vertreter beider Völker einen gemeinsamen Staat mit gleichberechtigten Nationen vereinbart 100 Henderson, Seite 143
101 Documents Brit. Foreign Policy, Third Series, Volume II, Appendix II, Document IV
102 Ebda. Und François-Poncet, Seite 370
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hatten. Die Tschechen haben diesen „Ehevertrag“ mit den Slowaken niemals eingehalten, und nun folgt die späte Quittung. Am 5. Juni 1938 treffen sich Vertreter der Slowaken zu einem Kongreß in Preßburg und verlangen die Gleichberechtigung mit den Tschechen und Autonomie für die Slowaken. Ministerpräsident Hodscha, selbst Slowake, fürchtet die Konsequenzen dieser Forderung und spricht den Delegierten von Preßburg das Mandat für die Slowaken ab. So zerbricht auch ohne deutsches Zutun die letzte Brücke, über die die zwei Titularnationen, die Tschechen und Slowaken, zueinander hätten finden können.
Noch während Lord Runciman in Prag versucht, zwischen Tschechen und Sudetendeutschen zu vermitteln, findet vom 5. bis zum 12. September 1938 in Nürnberg ein NSDAP-Parteitag statt. Hitlers Grundsatzrede zum Abschluß der Veranstaltung ist zwar harsch im Ton, doch Hitler verlangt dabei noch immer nur das Selbstbestimmungsrecht der deutschen Bevölkerungsgruppe innerhalb der Tschechoslowakei. Er fordert keinen Anschluß an das Reich, er drängt auf keine Volksabstimmung, er stellt kein Ultimatum. Die Kernsätze dieser Rede zum Problem des Nachbarlandes lauten: