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Doch läßt es Hitler auch nicht an einer Warnung fehlen. Er sagt an späterer Stelle:
Für das Ausland läßt auch diese Rede den Weg des Friedens offen, und selbst im Inland kann daraus noch niemand schließen, daß Hitlers Ziel in Wirklichkeit ei-ne Unterwerfung der Tschechei in naher Zukunft ist. Immerhin hatte Hitler dem Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, General Keitel, und dem Oberbefehlshaber des Heeres, Generaloberst von Brauchitsch, schon eine Woche vorher am 3. September befohlen, Wehrmachtstruppenteile bis zum 28. September so nahe an die Tschechoslowakei heranzuführen, daß sie gegebenenfalls nach zwei weiteren Tagesmärschen dort einmarschieren könnten.
Hitler beobachtet seit Monaten die Zuspitzung der Spannungen zwischen Tschechen und Slowaken, zwischen Tschechen und Sudetendeutschen und die Unzufriedenheit der Ungarn, Polen und Ukrainer in der Tschechoslowakei. Er ist sich offensichtlich sicher, daß ihm die Tschechen demnächst selber den Grund zum Einmarsch liefern. Er hält sich deshalb in seinen öffentlichen Reden mit Anschlußforderungen selbst zurück.
103 Domarus, Band 1, Seite 904
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In der Tschechoslowakei brodelt es indessen weiter. An 15. September verlangt der Sudetenführer Henlein in einer vom Rundfunk übertragenen Rede offen den Anschluß an das Deutsche Reich. Die tschechische Regierung versucht daraufhin, ihn in Haft zu nehmen. Henlein flieht nach Deutschland und mit ihm ein paar Tausend junge sudetendeutsche Männer im wehrpflichtigen Alter.
Englands und Frankreichs Einmischung
In Frankreich und England ist man sich indessen der Gefahr bewußt, daß Hitler und die Wehrmacht tun könnten, was Henlein und die Sudetendeutschen fordern. Die französische Regierung, die aus vorhergehenden Sondierungen in London weiß, daß die Briten nicht bereit sind, für den Chauvinismus der Tschechen zu marschieren, fühlt sich außerstande, alleine für die Tschechoslowakei zu kämpfen. Obwohl die französische Regierung die Gründe für den drohenden Zerfall der Tschechoslowakei kennt, will sie diesen Staat als Verbündeten in Deutschlands Rücken unbedingt am Leben halten. So versichert der französische Ministerpräsident Blum dem tschechischen Gesandten in Paris noch am 14.
März 1938 in allem Ernst, Frankreich werde seine militärischen Verpflichtungen gegenüber der Tschechoslowakei ohne Vorbehalt erfüllen, wenn Deutschland wegen der Sudetendeutschen zu den Waffen greifen sollte104. Doch schon am Tag danach wendet sich das Blatt. In der Konferenz des Ständigen Verteidi-gungsausschusses in Paris am 15. März kommen Ministerpräsident Blum und die anwesenden Minister und Generale zu dem Ergebnis, daß die französischen Streitkräfte für einen Zweifrontenkrieg Frankreichs und der Tschechoslowakei gegen Deutschland zu schwach und der Westwall zur Abwehr eines franzö-
sischen Angriffs inzwischen zu stark seien. Sie beurteilen die Lage so, daß Spanien und Italien Frankreich in den Rücken fallen könnten, daß Polen auf deutscher Seite die Tschechoslowakei angreifen werde, daß Belgien keinen französischen Durchmarsch dulde, daß die Hilfsmöglichkeiten der Sowjetunion fraglich seien, daß sich England auf keine konkrete Unterstützung festlegen lasse und daß man daher den Tschechen selber nicht zu Hilfe eilen könne105. So ist auch Frankreich nun nicht mehr bereit, der Tschechoslowakei gegenüber bündnistreu zu bleiben, auch wenn Blum das tags zuvor noch so versprochen hat.
Die englische Regierung unter Chamberlain fühlt sich den Tschechen gegenüber vertraglich zu nichts verpflichtet und außerdem für einen Krieg gegen Deutschland nicht gerüstet. Chamberlain macht daraus den Franzosen gegenüber auch nicht den geringsten Hehl. In Frankreich wechselt inzwischen die Regierung. Als der frisch ins Amt gekommene französische Ministerpräsident Daladier am 28.