Am 4. August startete das Raumschiff von seinem alten Liegeplatz und hinterließ den Seebewohnern zur Erinnerung an den Besuch einen verbrannten Uferstreifen. Melnikow, der am Steuerpult saß, flog zum Abschied noch einmal über den See.
Tief bewegt spähten die Sternfahrer auf die spiegelglatte Wasserfläche hinab. Dort unten lag die seltsame, vom rosigen Licht rätselhafter „Bäume“ erhellte Welt, dort unten krochen „Schildkröten“ umher, die lebendig gewordenen Lauben glichen und die „Arbeitskräfte“ der Venus stellten.
Dort unten, im Innern des Steilufers, verbarg sich die riesige Höhle mit der unterirdischen Stadt aus Häusern ohne Dächer und mit leuchtenden Wänden. Drei von ihnen waren in dieser Stadt der Venusianer gewesen, ohne viel von ihr gesehen zu haben. Sinowi Serapionowitsch hatte dort den Tod gefunden.
Die mit Baumstämmen verschalten Wände des rosigen Tunnels waren das Letzte gewesen, was er sah, denn hier verlor er für immer das Bewußtsein.
Was mochten die Bewohner der Stadt im Augenblick tun?
Korzewski versicherte, sie schliefen. Für die Venusbewohner bedeute der Tag dasselbe wie für die Menschen die Nacht.
Drei irdische Wochen seien für die Venusianer ein Tag und eine Nacht. Ob sie wirklich schliefen?
Vielleicht könnte man sich gerade jetzt am leichtesten heimlich in ihre Stadt schleichen und darin umsehen?
Der See blieb zurück. Unter den Tragflächen des Raumschiffes strömte in der Tiefe der breite Fluß.
Nirgends waren Spuren von Leben zu entdecken. Man sah nichts als Pflanzen. Kein Wunder, daß die Menschen, die als erste die Venus besucht hatten, zu falschen Vermutungen gelangten. Auch die Besatzung der „SSSR-KS 3“ hätte dieser Täuschung erliegen können. Nichts wies darauf hin, daß der Planet bewohnt war.
Die Venus war ein Rätsel! Ein verschlossenes Buch, das erst die nachfolgenden Expeditionen würden lesen lernen.
Wissenschaftler sind zähe. Die Arbeit von Belopolskis Expedition ging dem Ende zu. Ihr Raumschiff würde bald zur Erde zurückkehren. Aber an seiner Statt werden andere zur Venus fliegen. Zwei-, drei-, viermal. Sooft wie nötig.
Der Mensch muß alles wissen!
Schnell fliegt das Schiff. Deutlich spiegelt sich in den Wassern des Flusses die geflügelte Zigarre mit dem langen, feurigen Schweif. Kilometer um Kilometer rast sie dahin. Vorwärts, immer vorwärts! Zu neuen Entdeckungen, zu neuen Gipfeln des Wissens!
Ohne Ende und schwer, aber herrlich ist der steile Aufstieg menschlichen Wissens!
DAS ERBE DER PHAETONEN
Die metallene Röhre
Das Raumschiff flog den Bergen entgegen. Dort mußte sich, wenn Konstantin Jewgenjewitsch Belopolski die „Zeichnungen“ der Venusbewohner richtig gedeutet hatte, der See befinden, für den sich die Expedition interessieren sollte. Die Venusianer anders zu verstehen war unmöglich. Sie hatten wiederholt eindeutig auf diesen See hingewiesen und ihre Gäste nachdrücklich „eingeladen“, ihn aufzusuchen. Was mochte es dort geben? In wenigen Stunden würde es sich herausstellen.
Endlich tauchte die Gebirgskette auf. Ihre Gipfel waren von einer dichten Wolkendecke verhüllt.
Das Raumschiff stieg bis zur unteren Grenze der Wolken empor. Von hier, aus einer Hohe von anderthalb Kilometern, war der See leichter zu entdecken, wenn er wirklich existierte.
„Da ist er!“ sagte Belopolski.
Hoch in den Bergen dehnte sich ein riesiger See, ähnlich dem Goktscha*. Er war fast kreisrund und hatte einen Durchmesser von etwa acht Kilometern. Und ebenso wie dem Goktscha die Sanga entströmte auch diesem See ein Fluß.
Beim Näherkommen stellten die Astronauten fest, daß die Ufer günstige Landeplätze besaßen. Im Osten und Süden war der See von Wald umgeben, davor aber lagen große Lichtungen, die, so weit man von oben sehen konnte, mit genau solchem gelbbraunen Gras bewachsen waren, wie sie es am Wehr vorgefunden hatten.
„Das ist prächtig“, sagte Belopolski. „Auf dem Wasser möchte ich nämlich nicht gern niedergehen.“ Melnikow nickte. Zum zweitenmal mußte er das schwierige * Goktscha oder Sewan-See, in der Armenischen SSR, etwa 2000 m über dem Meeresspiegel.
und gefährliche Manöver vollführen, das riesige Raumschiff auf festem Boden zu landen. Angespannt starrte er auf den Bildschirm, ohne dabei die zahlreichen Instrumente auf dem Steuerpult außer acht zu lassen.
„Dort drüben!“ Belopolski bezeichnete die Richtung. „Da, wo der See eine kleine Bucht bildet, siehst du? Meiner Meinung nach ist das ein günstiger Landeplatz.“ Die Geschwindigkeit verringerte sich, das Raumschiff näherte sich immer mehr dem Boden.
„Eins!“ sagte Belopolski.
„Die ‚Pfoten‘!“ Eine Sekunde, noch eine, und sie waren gelandet.
Wie schon beim erstenmal lief alles mit automatischer Präzision ab.
„Was mag uns hier erwarten!“ sagte Melnikow nachdenklich.