Noch zwanzig Minuten Flug, dann mußten sich in der Ferne die Stromschnellen abzeichnen, die aus der Höhe wie ein dünner weißer Strich aussahen.
„Sehen Sie dort — ein See!“ rief Belopolski plötzlich.
Melnikow warf einen Blick auf den Bildschirm. Tatsächlich war ganz in der Nähe der Stromschnellen inmitten der Bäume ein Waldsee zu erkennen, der, soweit man es aus dieser Entfernung schätzen konnte, einen Durchmesser von zwei Kilometern hatte. Als sie näher kamen, zeigte sich, daß das nördliche Ufer des Sees flach war, das südliche aber steil aus dem Wasser emporstieg. Der Wald reichte beinahe bis ans Wasser heran.
Das Raumschiff glitt hinab zu den Baumkronen. Die Triebwerke arbeiteten mit der für diese geringe Höhe minimalsten Geschwindigkeit, sie betrug aber immer noch über fünfzig Meter pro Sekunde.
Als die „SSSR-KS 3“ den See erreicht hatte, folgte Melnikow der Uferlinie.
„Ich sehe Balken am Nordufer“, teilte Paitschadse durch den Lautsprecher mit.
Er stand zusammen mit den anderen im Observatorium und konnte die Landschaft nicht nur durch den Bildschirm, sondern auch durchs Fenster beobachten.
In diesem Augenblick entdeckte auch Melnikow einen hohen Holzstapel — nicht nur einen, sondern mehrere. Sie lagen gleichweit voneinander entfernt und waren aus ebensolchen Stämmen geschichtet, wie Balandin und er sie an den Stromschnellen gesehen hatten. Aber das Schiff flog so schnell darüber hinweg, daß man sie nicht genau betrachten konnte.
„Ich sehe einen Staudamm aus Holz!“ Saizews Stimme zitterte vor Erregung. Das gleiche meldeten Balandin und Knjasew.
Das Raumschiff flog gerade auf den Westzipfel des Sees zu und drehte, über die linke Tragfläche geneigt, nach Süden.
Weder Belopolski noch Melnikow hatten den Staudamm sehen können.
„Wo sehen Sie einen Staudamm?“ fragte Konstantin Jewgenjcwitsch.
„Er liegt schon hinter uns“, antwortete ihm Balandin. „Aus dem See fließt ein kleiner Fluß ab, den ein Wehr aus fest zusammengefügten Balken absperrt.“ „Dieser See ist noch rätselhafter als die Stromschnellen“, sagte Melnikow. „Aber er ist lang genug. Wir werden hier landen.“ „Auf keinen Fall auf dem Wasser“, entgegnete Belopolski in ungewöhnlichem Tonfall. „Nur am Ufer.“ „Am Ufer ist kein Platz, es ist zu schmal.“ „Dann am Fluß, dort, wo wir ursprünglich landen wollten.“ „Aber warum denn nicht hier?“ fragte Melnikow, jedoch nach einem Blick auf den Kommandanten verstummte er. Solch einen Ausdruck wie in diesem Augenblick hatte er bei seinem Lehrer und Freund noch nie bemerkt. Sein Gesicht war mit tiefen Runzeln bedeckt, er wirkte strenger als sonst, und jeder Zug darin, der Glanz der Augen und das Zittern der Lippen verrieten, daß der Gelehrte zutiefst aufgewühlt war. Unablässig musterte er den spiegelglatten See, und auf seinem Gesicht verhärtete sich gespannte Erwartung.
Reglos lag der See. Nicht das geringste Lebenszeichen war zu erkennen. Ebenso tot lag das flache Ufer, auf dem riesige Bäume und orangefarbene Sträucher wuchsen. Nichts rührte sich. Nur das dichte Laub tanzte im Wind.
Ohne weitere Fragen zu stellen, steuerte Melnikow auf den Fluß zu. Er lag ganz in der Nähe des Sees. Nicht mehr als einen Kilometer entfernt.
Schon als sie das erstemal zu den Stromschnellen kamen, hatte Melnikow eine Stelle ausfindig gemacht, die sich zur Landung eignete. Es war ein langer und breiter Uferstreifen, ein Feld, auf dem das Schiff ungehindert landen und von dem es auch wieder starten könnte. Das Gelände war eben und schien völlig trocken zu sein; dort wuchs das gelbbraune Gras.
„Beeil dich!“ sagte Belopolski. „Ein Gewitter zieht auf!“ Melnikow verständigte die Besatzung durch ein Klingelzeichen von der bevorstehenden Landung.
Als die vorgesehene Stelle in Sicht kam, wurden die Triebwerke abgestellt. Das riesige Schiff glitt, rasch langsamer werdend, auf das Ufer zu. Das schwere Achterschiff sank tiefer.
Kamows Konstruktion, die eine Landung mit Hilfe von Stützarmen vorsah, verlangte vom Piloten äußerste Konzentration und Präzision jeder Bewegung. Das Landemanöver war so schwierig, daß der Autopilot trotz aller Anstrengungen der Konstrukteure den Menschen dabei nicht ersetzen konnte. Belopolski und Melnikow hatten lange Zeit gebraucht, um diese Kunst zu erlernen; denn es war keine Technik mehr, sondern Kunst. Mit außerordentlicher Genauigkeit mußte der Augenblick abgepaßt werden, in dem das Schiff im Zustand labilen Gleichgewichts gleichsam in der Luft stillzustehen schien. In einem kleinen Übungsraumschiff hatten sie Dutzende Male dieses Manöver auf der Erde ausgeführt.
Aber es war unvergleichlich schwieriger, solch ein gigantisches Schiff wie die „SSSR-KS 3“ mit Hilfe der Stützarme zu landen.
Der Kommandant übertrug diese verantwortungsvolle Aufgabe daher in Anbetracht seines Alters dem jüngeren Kollegen, dessen Hand sicherer war und der, wie man allgemein sagte, überhaupt keine Nerven besaß.
Melnikow sah nicht mehr auf den Bildschirm. Er konzentrierte sich ganz auf den Höhenmesser und das Tachometer. Die beiden Zeiger sanken rasch auf Null.