»Agent Coldmoon, derartige Erkenntnisse kommen einem nicht so, wie wenn man eine Lampe anknipst. Das gibt es nur in Kriminalromanen. Vielmehr entwickeln sie sich langsam, unterhalb der Oberfläche – wie ein subkutaner Abszess.«
»Hübsches Bild.« Coldmoon seufzte und schüttelte belustigt den Kopf. Dann griff er in die Gesäßtasche seiner Jeans, zog seine Thermoskanne hervor und sagte:
Pendergast verneigte sich leicht.
Coldmoon hob überrascht die Brauen. »Sie haben gebüffelt.«
»Es schien mir eine gute Idee zu sein, unter den Umständen.«
»Es schadet nie, etwas Neues zu lernen.«
»Stimmt.«
»Oder Neues
Es entstand eine Pause, während der Pendergast mit leicht zusammengekniffenen Augen auf die Thermoskanne spähte. »Vielleicht.«
Coldmoon zog den Deckel ab, schraubte die innere Kappe auf und schenkte eine großzügige Menge der teerschwarzen Flüssigkeit in den roten Becher. Ein Geruch nach verbranntem Gummi – den er fast mehr liebte als alles andere – wehte durchs Zimmer. Er hielt den Becher Pendergast hin. »Auch einen Kaffee, Partner?«
Eine weitere, längere Pause. Dann griff Pendergast nach dem Becher und nahm einen kleinen Probierschluck. »Auf dem Gaumen der blumige Duft von Giftsumach. Gefolgt von Noten von Dieselöl und einem langen Abgang von Batteriesäure.« Und damit reichte er den Becher zurück.
»Genau, wie ich ihn mag«, sagte Coldmoon, schloss zufrieden die Augen und kippte das lauwarme Getränk in einem Schluck hinunter.
38
Am darauffolgenden Morgen um halb sieben erwachte Coldmoon aus tiefem Schlaf – weil sein Mobiltelefon klingelte. Unwirsch brummelnd ging er ran.
»Agent Coldmoon? Ich bin’s, Grove. Ich konnte Pendergast nicht erreichen.«
»Was für ein Schock«, erwiderte Coldmoon.
»Ich habe gestern nach unserem Meeting gleich mehrere Teams auf die Suche angesetzt«, sagte Grove. »Die haben die ganze Nacht daran gesessen. Wir richten den Fokus auf Miami-Dade, aber nur um sicherzugehen, beziehen wir auch alle anderen Bezirke in Südflorida ein.«
»Klingt gut.« Coldmoon bemühte sich, seine Stimme nicht ganz so verschlafen klingen zu lassen. »Und? Was gefunden?«
»Die Teams sind zu etwa drei Viertel mit der Suche durch, und bislang haben wir drei mögliche Treffer gefunden.
»Vielen Dank, Commander.«
»Gern geschehen«, sagte Grove und lachte. »Fühlt sich irgendwie gut an, wieder Leute herumzukommandieren. Am späten Nachmittag sollten wir fertig sein. Wenn’s irgendwelche neuen Akten gibt, bring ich sie selbst zu Ihnen rüber. Bis dahin bin ich unterwegs, Hinweisen nachgehen. Gibt nichts Besseres, als mit dem Titel
Zwar hatte Coldmoon in der ersten Zeit gegenüber dem scheinbaren Schreibtischtäter Grove eine abschätzige Haltung eingenommen, musste jetzt aber zugeben, dass der Mann zu effizienter Arbeit fähig war – und auch keine Angst davor hatte, die Ärmel hochzukrempeln.
Nachdem er das Telefonat mit Grove beendet hatte, rief er Pendergast an – der sofort abnahm – und erstattete ihm Bericht. Anschließend ging er in die kleine Küche, um sich den Becher Kaffee zuzubereiten, den er unbedingt brauchte, bevor er sich an die Arbeit machen konnte. Er schüttete zusätzliche Löffel Kaffeemehl in eine Kaffeekanne, die zwei Tage auf der Warmhalteplatte gestanden hatte, dann duschte er und zog sich an. Er trank einen Becher, füllte seine Thermoskanne mit dem Rest, stieg in den Mustang und fuhr ins »Büro«. Er kam im selben Moment an wie der uniformierte Cop, schnappte sich den dicken Briefumschlag, der ihm überreicht wurde, und ging damit in die Wohnung. Pendergast war schon da, er saß in dem schattigen Zimmer und betrachtete die Wand mit den Landkarten. Er war ganz blass.
Er drehte sich um, als er hörte, dass Coldmoon hereinkam. »Ah«, sagte er, als er den Umschlag mit dem Stempel der Polizei Miami in Coldmoons Hand sah. »Mal sehen, was die Teams des guten Commander ausgegraben haben.«
Coldmoon riss den Umschlag auf, darin befanden sich drei Fallakten, zerfleddert, eselsohrig und nach Staub und vergilbtem Papier riechend. Er legte sie auf dem Tisch aus. »Sollen wir Fauchet bitten vorbeizukommen?«